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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

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Straße nach Le Havre

VII. Straße nach Le Havre
 

Je länger sie ritt, je weiter sie sich von Paris entfernte, desto enger rückten die Bäume am Straßenrand zusammen. Ein stummes Spalier aus uralten Wächtern der Reisenden. Die Meilensteine folgen dahin. Trockene Erde und Steine wirbelten unter den dahingaloppierenden Hufen auf. Einzelne Sonnenstrahlen tanzten durch das dichte Blätterdach, welches sich über den Weg wölbte und blendete, mit grellem Licht, ihre empfindlichen Augen. Kopfschmerzen hämmerten zermürbend und wütend hinter ihrer Stirn. Ihre Zunge klebte ausgetrocknet und pelzig an ihrem Gaumen. Aramis war seit mehreren Stunden auf der Straßen nach Le Havre unterwegs. Eine gnadenlose Mittagssonne, endlose Straßen und das stetige auf und ab des Reitens forderten langsam ihren Tribut. Noch zehrte ihr Körper von ihren Kraftreserven. Bis zum äußeren Stadttor hatten sie ihre Freunde begleitet, dann hieß es Abschied nehmen. Wie es sich unter Männer gehörte, verlief die Verabschiedung schnell und schmerzlos. Aramis wurde kraftvoll an die Brust ihrer männlichen Begleiter gedrückt, die Degen kreuzten sich ein letztes Mal im stillen Einverständnis, dann wurde sie mit einigen guten Ratschlägen auf ihre Reise geschickt. Sie hatte nicht oft die Gelegenheit gehabt, in die starken Arme ihrer Freunde zu sinken. Während Porthos ihr die Rippen zerquetschte, D'Artagnan sie eher unbeholfen und zaghaft drückte, fühlte sie um so genauer die kräftigen Muskeln unter Athos Wams und den angenehmen Geruch, der seinen Haaren entströmte. Obwohl sie fürchten musste, dass er stutzig werden konnte, weil ihr Körper weicher war, als er sollte, hätte Aramis ihn gern länger an sich gedrückt. Jetzt würde sie ihre Freunde für lange Zeit nicht mehr sehen.

Bei Vermon hatte sie die Nase gestrichen voll. Sie war langes Reiten gewohnt, aber nicht unter Katerstimmung und so schwang sie an einem Gasthaus ihre schmerzenden Beine vom Pferd und humpelte steifbeinig zum Gasthaus. Drinnen empfingen Aramis Lärm und stickige Luft. Sie kniff die Augen zusammen, um sie an das Dämmerlicht zu gewöhnen, dass durch die mit dünn geschabten Kalbshaut bespannten Fenster fiel. Etliche Reisende waren in den Schutz des Gebäudes gewichen und stillten ihren Durst bei einem kühlen Bier oder verdünntem Wein.

Sie schob sich an den vollen Tischen vorbei. Man rückte respektvoll zur Seite und machte der Autorität ihrer Waffe platz. Der Zustand ihres Degen zeigte, dass sie ihn nicht zur Zierde trug. Selbst für ein gut besuchtes Gasthaus zur Mittagszeit war es ungewohnt laut. Während eine Magd ihr Eintopf und Wasser brachte, hörte sie genauer zu. Nicht weit von ihr unterhielten sich mehrere Männer über den Mord bei St. Michel. Die blutige Botschaft des Mörders hatte Paris verlassen. Gerüchte blieben nie lange unter sich. Einige äußerten lautstark die Ansicht, dass die Protestanten viel zu billig bei wegkamen, der Rest nickte beifällig. Überall wurden die Köpfe zusammengesteckt und darüber gesprochen. Sie musste ihre Freunde unbedingt bitten, ihr per Brief alles über die Ermittlungen zu berichten.

"Was meinen Sie?" fragte einer der Männer und beugte sich zu Aramis rüber. "Man sollte viel härter gegen diese Ketzer, die über unbescholtene Christenbürger herfallen, vorgehen. St. Michel ist sonst nur der Anfang." Er blechte grimmig eine Reihe fauliger Zähne.

>Du bist bestimmt kein unbescholtener Bürger<, dachte Aramis. Ihr Blick zeigte ihm eigentlich deutlich, dass sie allein gelassen werden wollte. Er verstand nicht und der beharrliche Ausdruck auf seinem einfälligen Gesicht blieb. Sie zwang sich schließlich zu einem zustimmenden Lächeln, zuckte aber die Schultern. "Ich weiß nichts über St. Michel. Ich bin fremd hier." Streit wollte Aramis als einsamer Reisender nicht anfangen. Dummköpfe sollte man nicht reizen, da ihre Handlungen dumm und unvorhersehbar waren.

"Welch ein Zufall, ich auch." Schon saß er ihr gegenüber und erklärte ihr lang und breit, was er aus zweiter Hand über den Mord in St. Michel erfahren hatte. Es war haarsträubend, wie wenig von dem wahren Tatbestand übrig geblieben war. Er endete schließlich mit seiner Meinung darüber, wie man mit den Ketzern verfahren sollte.

"Brennen sollen sie!" Er blickte sie auffordernd an, als erwartete er großes Lob für seine Ausführungen. Mittlerweile hatten auch die anderen Männer ihre Aufmerksamkeit auf Aramis gerichtete. Was würde passieren, wenn sie jetzt etwas Falsches sagte?

"Sie werden ihre gerechte Strafe erhalten", erklärte sie, mit einem widerstrebenden Lächeln auf den Lippen. Der Mann nickte zufrieden. Sie war froh, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte, denn Aramis hatte nicht die protestantischen Glaubensbrüder, sondern den abergläubischen Mob und die mordslustige Obrigkeit gemeint, die nach Blut schrieen und unschuldige Menschen einsperren, foltern und verbrennen ließen. Zu ihrer Erleichterung ließ er sie wieder zufrieden und sie konnte ihre erkaltete Suppe essen. Ihre Kopfschmerzen hatten sich mittlerweile verschlimmert. Es war, als würde der hämmernde Schmerz ihre Schädeldecke zertrümmern.
 

Kurz nach Mitternacht kam Le Havre in Sicht. Von einer Anhöhe aus sah sie die dunkel, am Hafen liegende Stadt. Riesige Schoner und Großmasten lagen im Hafenbecken. Ein hoher Wall umschloss den inneren Ring. Drei Kirchturmspitzen erhoben sich im Dunkel der Nacht. Nach einem kurzen Ritt hatte Aramis eines der zwei Stadttore erreicht. Ein mürrischer Torwächter ließ sie nach Überprüfung ihrer Papiere passieren. Sein Kollege schlief lautstark auf seine Hellebarde gestützt.

Das Gasthaus lag gleich hinter dem Stadttor. Es schmiegte sich eng an die Stadtmauer. Ein einfaches Gebäude im Fachwerkstil des 15. Jahrhunderts. Sie schlich zur Rückseite des Gebäudes und brachte ihr Pferd im Stall unter, um es schnell zu versorgen. In den oberen Stockwerken waren alle Läden geschlossen. Lediglich durch die dreckigen Butzengläser vom Schrankraum drang noch Licht. Der Wirt eskortierte gerade, unter Mithilfe zweier kräftiger Knechte, einige Betrunkene zur Tür hinaus. Der Alkohol hatte sie uneinsichtig und gewalttätig gemacht. Aramis nutzte die allgemeine Aufregung, um unbemerkt an den Männern vorbei zu huschen und in das zweite Stockwerk zu gelangen. Sophie hatte als Erkennungszeichen ein weißes Taschentuch um die Türklinke gebunden. Endlich konnte sie in ein Bett klettern und noch für die wenigen Stunden, die ihr noch blieben, Schlaf finden.

Sophie war noch wach. Sie saß in Nachthemd und Schultertuch auf dem Bett und begrüßte ihren späten Gast mit einem unsicheren Lächeln. Vor Aufregung hatte sie ohnehin nicht schlafen können.

"Wo ist mein Zimmer?"

Sophie schüttelte bedauernd den Kopf und wies auf das zweite Bett. "Es waren nicht mehr Zimmer frei. Wir müssen uns ein Zimmer teilen." Aramis seufzte resigniert, hängte Degen und Hut über die Stuhllehne und zog die Stiefel aus. Gürtel und Wams folgten. Hoffentlich fühlte sich das Mädchen nicht peinlich berührt, weil sie das Zimmer miteinander teilen mussten. Anscheint nicht, als sie sich umdrehte saß Sophie noch immer unverändert auf ihrem Bett und schaute ihr ungeniert zu. Aramis verharrte in ihren Bewegungen und hob herausfordernd eine Augenbraue. De Trevilles Schützling zuckte schuldbewusst zusammen, sprang flick auf und holte ein langes Leinenhemd aus einer der Truhen, um es Aramis zu geben. Ihren Blick jedoch senkte sie nicht, sondern beobachtete sie weiterhin neugierig. Jetzt war es an Aramis sich unwohl zu fühlen. Beide Augenpaare fochten ein stummes Duell aus. Starrsinn gegen Starrsinn. Schließlich gewann Sophie den Kampf und Aramis entledigte sich zum ersten Mal nach über 7 Jahren vor einem anderen Menschen ihrer Kleidung. Sie hob ihr Hemd und wickelte den Verband ab. Aufatmend holte sie tiefe Luftzüge. Der kalte Nachtwind strich kalt über ihre nackte Haut, als Hemd und Hose folgten. Wasserkrug und Schüssel standen schon bereit. Ein eingetauchtes Tuch wischte den Staub des Tages hinfort, den Schweiß unter der engen Verschnürung, den Dreck eines langen Rittes. Sophie reichte ihr das Nachthemd. Immer noch wendete sie den Blick nicht ab, sondern beobachtete sie aufmerksam.

Genug gesehen?" fragte Aramis.

"Wie ..., aber ... warum sieht man nicht, dass Sie eine Frau sind?" Neugierig suchten Sophies Augen in ihrem Gesicht nach einer Antwort.

"Nun, ich tue schließlich alles was ich kann, damit man es nicht sieht oder bemerkt", erwiderte Aramis.

"Aber es ist nur so, dass ich in Ihnen jetzt keinen Mann mehr sehen kann und es ist mir schleierhaft, weshalb es niemand sonst bemerkt, obwohl ihre Freunde viel älter und erfahrener sind, als so ein junges Ding, wie ich."

"Lass sie das bloß nicht hören", erklärte de Trevilles einziger weiblicher Musketier schmunzelnd. "Nun, ich nehme an, dass ist die Macht der Gewohnheit. Man denkt nicht darüber nach, ob ich etwas anderes bin, als ich vorgebe zu sein, weil man in mir nie etwas anderes gesehen hat."

"Aber irgendwann waren Sie nicht Gewohnheit, sondern jemand Unbekanntes. Hat man Sie als Junge erzogen? Sind Sie nur unter Brüdern aufgewachsen?"

Aramis lachte. "Nein, ganz bestimmt nicht."

Sophie ließ nicht locker. Wissbegierig beugte sie sich vor. "Wie konnten Sie nur auf die Idee kommen?"

Ihre neue Herrin räusperte sich verlegen und zögerte. "Ich wollte von zu Hause fort, aber eine Frau alleine, wäre unterwegs vor der Zudringlichkeit jedes besoffenen Kerls ausgesetzt gewesen. Ich war 16 und ... ich war schon damals sehr groß, fast so groß, wie ein Mann und ich besaß kaum weibliche Formen." Kopf, Bein, Arme und Rumpf waren bei Männern und Frauen gleichermaßen vorhanden. Die Feinheiten, die wirklichen Unterscheide, ließen sich mit der richtigen Kleidung entsprechend verbergen.

"Ich war so blind anzunehmen, dass es mir leicht fallen würde", fuhr Aramis fort. Ein großer Irrtum, wie sie bald einsehen musste.

Sophie nickte wissend. "Warum haben Sie das gemacht?"

"Geh zu Bett! Wir müssen morgen früh raus und ich bin müde!" befahl Aramis mit einem Ausdruck, der keine Widerworte duldete. Das Gesicht des Mädchens zeigte, dass dies nicht die erhoffte Antwort war, die sie erwartet hatte. Seufzend schlüpfte Sophie unter die Decke und blies die Kerze aus. Das Bettzeug roch nach ungewaschenen Körper. Naserümpfend fragte sich Aramis, wann das letzte Mal Decke und Kissen gewaschen und die Federn erneuert wurden. Eigentlich wollte sie ihre Frage gar nicht beantwortet wissen. Aus Reflex begann sie sich zu kratzen.

Sophie war schon fast eingeschlafen, als sie ein leises Flüstern hörte.

"Sie haben meinen Verlobten umgebracht. Mein Hass auf dieses Ungeheuer in Menschengestalt, dass ihn niederstach hat alles Denken überschwemmt."

Sie war mit einem Ruck wach und setzte sich auf. "Wirklich? Erzählen Sie mehr!"

"Ich habe schon zuviel erzählt!" Sophie seufzte enttäuscht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2004-04-21T10:58:59+00:00 21.04.2004 12:58
Das Kapitel ist dir gelungen, ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
Von: abgemeldet
2004-04-21T07:00:43+00:00 21.04.2004 09:00
Ich finde es sehr schön, dass Aramis langsam beginnt sich jemandem zu öffnen (abgesehen von D'Artagnan und Tréville, da es sich ja jetzt mal um ne Frau handelt), obwohl es doch nur sehr wenig ist, was sie von sich preisgibt... Ich geh mal davon aus, dass Sophie vielleicht noch ne wichtige Rolle spielen wird, aber vielleicht irre ich mich ja auch mal wieder ;o)
Von:  Tach
2004-04-20T16:13:21+00:00 20.04.2004 18:13
ich sag nix mehr, ich will nur dass du meine Anwesenheit registrierst XD
Von:  Kajuschka
2004-04-20T15:08:05+00:00 20.04.2004 17:08
Ein schönes Kapitel. Man darf gespannt sein wie es weiter geht. Bitte schreib' schnell weiter. ^_^


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