Zum Inhalt der Seite

Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Über den Kanal

Der Himmel, bisher silbrig in der Morgendämmerung, nahm endlich ein zartes blau an. Der Abendwind verstummte und brachte das leise Wispern im Uferschilf und in den hohen Baumwipfeln zum Schweigen.

Die Aprikosenfarbe des Himmels ging in Rotgold über. Im zweiten Stockwerk des Gasthauses, am südlichen Stadttor, waren Gewaltmächte am Werk. Manch ein verirrter Passant eilte schneller weiter, als er das Ächzen und Stöhnen aus dem geöffneten Fenster vernahm. In Le Havre, der Hafenstadt am Ärmelkanal, dem Tor zur Normandie für Reisende aus allen Herren Ländern, war es besser, nicht alles mitzubekommen.

"Zieh!" presste Aramis gequält hervor und stöhnte unter dem Panzer, der ihren Oberkörper einschnürte.

"Warum nehmen Sie nicht ein kürzeres Korsett?" ächzte Sophie, während sie das Knie in Aramis Kreuz stemmte und die Schnüre mit aller Kraft festzog. Schweißperlen liefen seitlich an ihren Schläfen hinab.

"Rede nicht! Zieh!" zischte Aramis und atmete noch flacher. Es knackte.

"Ich glaube, dass war meine Rippe. Jetzt ist sie gebrochen", japste sie, als sich die fischbeinverstärkte Rüstung enger zog.

"So schnell, brechen sie nicht", erwiderte Sophie und drückte iher Knie fester in das Rückrat. Endlich war das Ungetüm verschnürt. Der zarte Stoff des Mieders war Schweiß durchtränkt. Die Haut unter der Verschnürung begann zu brennen und unangenehm zu jucken. Die Berührung des dicken, reißfesten Stoff, ihres dunklen Reisekleides empfand Aramis als zudringlich. Unbehaglich lockerte sie den engen Kragen und versuchte die drückenden Stäbe des Korsetts bequemer zurecht zu rücken. Die Verstärkungen schnitten in ihre Haut. Die Enge des Mieders nahm ihr die Luft zum Atmen und die Freiheit des Bewegens. Aramis glaubte sich zu erinnern, dass früher das Ankleiden nicht derart kompliziert und umständlich war. Ganz zu schweigen von den wenigen Minuten, die sie für ihre Musketieruniform benötigt hatte. Sie hätte diesen Brustpanzer liebend gern wieder gegen das einschnürende Brustband, welches ihre Brust flachdrückte, eingetauscht.

Sophie sah sie noch immer zweifelnd an.

"Es muss über die Brust reichen", erklärte Aramis und klopfte bestätigend auf ihre eiserne Jungfrau. "Verstehst du nicht? Ich darf keine weiblichen Formen haben, damit ich notfalls noch als Mann gelte. Ein ausgestopftes Dekollete wäre aber zu verräterisch. Eine unbedachte Berührung und die Wahrheit käme ans Licht. Dies hier ist ideal. Keine verirrte Hand spürt, was sich unter dem Kleid befindet." Innerlich grinsend gratulierte sie sich zu ihrer Idee, auch wenn sich ihr Körper anfühlte, als würde er durch die Streckbank gedreht werden. Unter diesem Korsett war nicht spürbar, ob sich der Körper eines Menschen darunter befand, geschweige denn, ob Mann oder Frau. Ihre suspekte Rolle jemanden zu spielen, der vorgab jemand zu sein, der man eigentlich schon war, - es hörte sich nach wie vor unsinnig an, - hatten Kapitän de Treville und sie im laufe der Vorbereitungswochen oft besprochen. Aramis wollte sich auf jeden Fall den Rückweg zu den Musketieren bewahren. Nicht mehr als Mann zu leben, dass konnte sie sich nicht vorstellen. Nicht weil sie vergessen hatte eine Frau zu sein, sondern weil ihr schlichtweg die Mittel fehlten, um respektabel leben zu können. Es blieben nur noch das Kloster, die niederen Dienste als Magd oder eine Heirat als Alternativen und zu keiner davon konnte sie sich entschließen. Das letzteres zustanden kam, bezweifelte Aramis ganz und gar.

"Wenn ich damit hinfalle, stehe ich nie mehr auf", ächzte sie unter gepressten Atemzügen. Ihre Unterwäsche vertrat folgende Aussage: ,Allen Naturkatastrophen werde ich entgegentreten, ohne zu weichen. Dieses Mieder trotzt Stürme, Orkane und Gewitter. Ein Fels in der Brandung!'

Sophie nickte. "Das entspricht aber nicht der heutigen Mode."

"Soll es ja gar nicht. Außerdem bin ich ...?"

"... exzentrisch", vervollständigte Sophie den Satz. Aramis nickte.

"Und?" fragend sah sie vom Spiegel zu ihrer neuerworbenen Zofe.

"Sehr elegant", bestätigte diese.

"Nicht wahr? Monsieur Bonacieux hat gute Arbeit geleistet. Es ist ein Segen, dass dieser Mann Maß nehmen kann, ohne den Körper berühren zu müssen. Es wäre sonst peinlich für uns beide geworden", äußerte Aramis zufrieden. Das schmucklose Oberteil und der lange, glatt abfallende Rock aus dunkelblauem Stoff, betonten ihre lange Statur und gaben ihr mehr Eleganz. Die blonden Haare waren zu einem einfachen Knoten im Nacken zusammengesteckt und betonten die ebenmäßigen Gesichtszüge. Als junges Mädchen hatte sie sich, wie viele zu groß geratene Frauen, nach vorn gebeugt, um sich optisch kleiner zu machen. Die Jahre als Mann hatten sie gelehrt, gerade und selbstbewusst zu laufen, -etwas anderes ließ das Korsett ohnehin nicht zu. Die Frau im Spiegel war nicht mehr das 16-jährige Mädchen, auch nicht der Musketier Aramis. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie die Reaktion von Athos sein würde, wenn er sie im Kleid sah. Hier bin ich! Das bin wirklich ich! Es gibt Frauen, die sind schöner als ich, um vieles eleganter, zarter, graziler, aber keine wird dich je so kennen, wie ich dich kenne. Aramis seufzte tief. Die Frau im Spiegel gab den resignierten Gesichtsausdruck zurück.

"Lass uns herunter gehen und frühstücken! Monsieur Unbekannt, müsste noch zu uns stoßen. Ich würde England ungern ohne ihn und seine Instruktionen erreichen", entschied Aramis und begab sich, mit marionetteartigen Bewegungen, in den Schankraum, an einem reichlich verwirrten Gastwirt vorbei.
 

Nachdem Aramis ihren unhandlichen Körper unter vielen Verrenkungen auf einen der spärlich besetzten Stühle platzierte hatte, eilte der verblüffte Wirt herbei und tischte das Frühstück auf. Sie saßen gerade bei Brot und Milch, als ein Mann, in unauffälligen gelehrtenschwarz gekleidet, sich unaufgefordert zu ihnen setzte.

"Bonjour MADAME, mein Name ist Frederic Broussard." Seine wässrigblauen Augen musterten sie von oben nach unten. Der dünnlippige Mund zuckte unter verstecktem Ekel. Die Betonung von ,Madame', zeigte deutlich, was er von dem vermeintlichen Mann in Frauenkleidern hielt. Dabei vergaß er völlig, dass sie ihre Verkleidung nicht selbst gewählt hatte. Er war dünn und groß, außerdem gingen ihm allmählich die Haare aus. Den Rest versuchte er sorgfältig über der rosaroten Schädeldecke zu verteilen. Sein Alter ließ sich schwer schätzen. Ein verbrauchter 25-jähriger oder ein guterhaltender 40-jähriger. Aramis tippte auf ersteres, da er nicht die Toleranz des Alters, sondern die Arroganz der Jugend zeigte.

"Ich wurde von Kardinal Richelieu beordert, Sie nach England zu begleiten", erklärte er und sein Blick gab deutlich zu verstehen, dass er nur Anweisungen von diesem Mann entgegennahm. Schon gar nicht von einem Nicht-Mann, wie sie es einer war. Aramis seufzte innerlich. Sie hatte es nicht anders erwartet. Eine positive Überraschung von Seiten des Kardinals grenzte an ein Wunder.

"Sie haben alle näheren Instruktionen für mich?"

Broussard nickte und reichte ihr einen wachsversiegelten Umschlag. Das Wachs des Siegel glich verschmiertem Blut. Blut das ihre Zukunft besiegelte. "In der Mappe finden Sie die Stammbäume und Funktionen der wichtigsten englischen Adligen sowie alle Informationen über Graf de Meyé. Außerdem befindet sich ein Schreiben des Königs unter den Unterlagen, in denen er bestätigt, dass Sie eine Person von Rang sind, auch wenn Sie unter falschen Namen auftreten. Der Kardinal entschied, dass Sie für die Dauer Ihres Aufenthalts die Comtesse de Mystérieuse*1 sein werden. Er hielt das für witzig." Seine Mundwinkel zuckten. "Nach meiner Meinung wären Madame Mystérieux*2, Madame Queue*3 oder gar Madame femme très masculine*4 besser gewählt." Aramis fand das weniger witzig. Unwillkürlich spannte sie ihren Körper an. Der bissige Ausdruck in Sophies Gesicht zeigte, dass sie mit ihrer Meinung nicht alleine stand.

"Sie fragt nur niemand nach Ihrer Meinung", entgegnete sie scharf und sah ihm, unter Aufbringung all ihrer Autorität, in seine Augen. "Sie sollten sich besser zusammenreißen und mir, als mein Untergebener, den nötigen Respekt entgegenbringen, der mir als Comtesse zusteht oder wollen Sie, dass unsere Mission scheitert, nur weil Sie sich nicht entsprechen benehmen können. Ich glaube, der Kardinal wäre wenig erfreut darüber. Glauben Sie nicht, dass ich nicht ebenfalls mit dem Kardinal und dem König in Kontakt stehe." Aramis erstickte fast in ihrer Wut. Am liebsten hätte sie den nächstbesten Gegenstand gepackt und ihn dem aufgeblasenen Kerl entgegengeschleudert. Doch das geziemte sich, mit ihrer Rückkehr ins Frauendasein, nicht mehr.

Broussard ballte drohend die Fäuste, besann sich aber wieder und nahm einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck an. "Ich werde den Knechten Anweisungen geben, Euer Gepäck auf das Schiff zu schaffen und erwarte Euch an Bord, Comtesse! Das Schiff läuft in einer Stunde aus." Mit verkniffenem Gesichtsausdruck erhob er seinen schwarzgehüllten Klappmesserkörper und verneigte sich geziert.

"Schwarzloser Bastard", murmelte er, während er ihr steif seinen Rücken entgegendrehte. Aramis knurrte gereizt und versuchte, ihren fischbeinstäbchen-gestützten Körper in eine bequemere Lage zu rücken.

"Ein widerwärtiger Kerl", wandte Sophie ein. "Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich ihn sehe. Mit ihm müssen wir es in England aushalten?" Aramis versuchte mit den Schultern zu zucken, worin sie angesichts ihres eingeschnürten Oberkörpers kläglich scheiterte.

"Ihn sehen wir bestimmt nicht oft. Meine Anwesenheit ist ihm mehr als zuwider, dass hat er deutlich zu verstehen gegeben. Macht der unverschämte Kerl so weiter, wird es mir ein dringendes Bedürfnis sein, ihn bei unserer Rückkehr zum Duell zu fordern. Dann werde ich ihm sein schleimiges, modriges Grinsen in Stückchen von seinem Gesicht schneiden."

Sophie sah sie erschrocken an. "Dürfen Sie ihn töten, wenn er ein Gefolgsmann des Kardinals ist?" Aramis zuckte die Schultern und grinste diabolisch. "Wer redet denn vom Töten, ich will ihm nur weh tun", erklärte sie grimmig.
 

Die ,Black Lady' war ein altes Kriegsschiff und hatte schon längst seine besten Tage hinter sich. Jetzt diente es als Fracht- und Passagierschiff. Es lief unter englischer Flagge aus. Sein Bauch war gefüllt mit Handelswaren. Sie lag tief im Wasser. Der stetige Strom an Matrosen, die mit schweißtreibenden Lasten beladen in seinem Inneren verschwanden, riss nicht ab. Die Befehle des Kapitäns hallten über das Deck. Am Kai wimmelte es von Menschen. Ob arm oder reich, gut betuchte Kaufmänner oder Tagelöhner auf der Suche nach Arbeit, jeder eilte geschäftig umher. Das Geschrei der Seemöwen über der endlosen Weite des tiefblauen Meeres übertönte die Menschen an Land und an Deck der zahlreichen Schiffe. Um sein Profit zu vermehren, hatte der Kapitän der ,Black Lady' behelfsmäßige Passagierkabinen an Bord unterbringen lassen. Die Unterkünfte lagen gerade im Bereich des Annehmbaren und von Privatsphäre konnte auf dem Schiff nicht die Rede sein.

Eine halbe Stunde lang hatte sich Aramis mit Monsieur Broussard lautstark herumgestritten, ob ihr Pferd mit ihr England bereiste. Monsieur Broussard war nun um zwei Erkenntnisse reicher, was seine widerstrebende Mitreisende betraf. Erstens, die neuernannte Comtesse de Mystérieuse war dickköpfiger und lautstarker als er und zweitens, die hellblaue Iris der Augen konnte sich in tiefes dunkelblau verwandeln, dass ihre Feinde bis in die Träume verfolgte. Zum Schluss kam der Gaul mit und war, unter Flüchen der getretenen Matrosen, an Deck gebracht worden. Monsieur Broussard lernte auch, was ihn selbst betraf, hinzu. Er war für die Seereise nicht geschaffen. Als die 'Black Lady' auslief, um Englands Künste anzusteuern und der Wind anfing, das riesige Schiff wie ein kleines Ruderboot auf dem Meer tanzen zu lassen, wünschte er sich nichts sehnlicher, als wieder festen Boden unter seinen Füßen zu spüren. Während das Schiff schlingernd und schaukelnd durch die Wellen steuerte, saß er hilflos am Boden seiner Kabine und erbrach alles, was der Magen hergab. Zwischen dem heftigen Gekotze erinnerte er sich, dass es einen Gott gab, den er seit Jahren nicht mehr beachtet hatte, aber an dessen Existenz er wieder inbrünstig zu glauben begann.

Summend durchquerte Sophie den Lagerraum, nachdem sie sich versichert hatte, dass alle Gepäckstücke, samt Pferd gut versorgt waren. Erstaunt hielt sie vor dem würgenden Häuflein Elend am Boden der Passagierkabine inne.

"Monsieur Broussard, alles in Ordnung?" Widerwillens brachte sie Mitgefühl für den grüngesichtigen Mann auf.

Würgen und Spucken antwortete ihr. Monsieur Broussard hob das verschwitzte Gesicht empor und starrte ihr mit blutleeren Lippen entgegen.

"Wo ist deine neue Herrin?" fragte er. Wieder waren seine Gesichtzüge angewidert verzogen. Es war Sophie unbegreiflich, wie jemanden unansehnliches wie Broussard, Abscheu gegenüber Aramis empfinden konnte. Er schien Aramis nicht zuordnen zu können und das bereitete ihm Angst.

"An Deck", erwiderte sie.

"Kriecht er immer noch in jede Ecke und läuft den Matrosen vor die Füße."

"Sie ... er ist eben neugierig."

"ER", spie Broussard aus, "ist jetzt eine Comtesse und sollte sich dementsprechend benehmen und gesittet in seiner Kabine bleib..." Der letzte Satz ging in einer neuen Übelkeitswelle unter.

"Das ist die Strafe, weil Sie Arami... Verzeihung, Comtesse de Mystérieuse, beleidigt haben."

"Warum diese Loyalität zu dieser Witzfigur? Ich weiß, dass ihr euch gestern ein Zimmer zusammen geteilt habt. Ist es das?", begehrte er auf. "Bist du die Geliebte von diesem Mädchenjungen?" Seine Hand umschloss ihr Bein. Speichel rann aus seinem Mundwinkel. "Du bist hübsch. Was er dir gibt, kann ich dir auch geben und ich bin ein richtiger Mann."

Seine Hand fuhr ihre Wade empor. Sophie versuchte ihm das Bein zu entwinden und trat nach ihm.

"Sie sind mir widerlich", keuchte sie, bekam ihr Bein frei und rannte mit gerafften Röcken die Treppe hinauf.

"Denk an mich, wenn sein verweichlichter Körper dich langweilt und du dich nach einem Mann sehnst", rief er der flüchtenden Sophie hinterher. Anschließend beschränkte er sich darauf, den Kopf in den Eimer zu stecken.

Für den Rest der Fahrt suchte das Mädchen Schutz in Aramis Schatten und wich ihrer neuen Herrin nicht mehr von der Seite. Ihre Begegnung mit Monsieur Broussard verschwieg sie, wohlwissend, wie der abberufende Musketier darauf reagieren würde.

Aramis stand an der Heckreling, als das Schiff den Hafen von Le Havre verließ und verabschiedete sich von allem Vertrauten, bevor sie ihre Reise ins Ungewisse begann.

Das riesige Schiff drehte bei und begab sich langsam aus dem Hafenbecken. Die riesigen wettergegerbten Segel entrollten sich, der Wind frischte auf und das Schiff begann an Geschwindigkeit zu gewinnen. Wellen peitschten gegen den Rumpf. Das Gekreische der Möwen vermischte sich mit dem Tosen der Meeresgischt.
 

Am Vormittag des nächsten Tages lief die 'Black Lady' in Brigthon ein. Ein wolkenloser Frühlingstag mit strahlendem Sonnenschein und einer kräftigen, frischen Brise. Von Brigthon waren es nur noch wenige Meilen bis nach London. Zum ersten Mal in ihrem Leben betrat Aramis englischen Boden. Bisher unterschied sich die englische Küstenlandschaft nicht von der Französischen. Am Kai von Brigthon ging es ebenso laut und lebendig zu wie in Le Havre. Monsieur Broussard hatte sich auf den letzten Seemeilen von seiner Seekrankheit erholt. Mit dem ersten festen Stein unter seinen Füßen stieg seine Überheblichkeit und Streitsucht. Ihr lautstarker Streit fiel in dem allgemeinen Lärm kaum ins Gewicht. Alle erdenklichen Sprachen hallten über das Hafengelände.

"Es ist mein Pferd und ich sehe keine Probleme, die mich daran hindern sollten nach London zu reiten." Wütend, die Arme vor der Brust verschränkt, stampfte Aramis mit dem Fuß auf und blies eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war sogar bereit, mit einem Damensattel vorlieb zu nehmen, um nicht in der holprigen Klapperkiste, die sich Kutsche schimpfte, Meile für Meile eingepfercht zu sein.

"Ihr werdet in der Kutsche reisen, einfach weil es sich für Euch als Comtesse gehört", behaarte Broussard stur.

"Broussard, Sie wissen ebenso gut wie ich, dass adlige Damen zu reiten pflegen", verteidigte sie störrisch ihren Standpunkt. Broussard zog sie näher zu sich heran, dass sie seinen fauligen Atem riechen musste. "Jetzt hören Sie mir einmal zu, Sie tölpelhafter Musketier!" zischte er ihr kaum hörbar zu. "Sie werden den Weg in der Kutsche zurücklegen und mir Ihr Pferd überlassen, bevor Sie noch alles verderben!" Aramis spie vor Wut Gift und Galle. Sie wollte gerade zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, als sich jemand in ihrem Rücken diskret räusperte. Beide drehten sich augenblicklich herum und sahen einen schlanken Mann Ende 20 vor sich, in der geckenhaft bunten Kleidung der englischen Obrigkeit.

"Monsieur, Sie sollten einer schönen Dame nie widersprechen", erklärte er im akzentfreiem französisch, mit einem spöttischen Lächeln auf seinen Zügen. Die beiden Kontrahenten sahen ihn irritiert und verblüfft an, ohne Worte der Erwiderung zu finden. Aramis nicht sicher, worauf sich der Spott des Gecken bezog, Monsieur Broussard zu verblüfft seinem verkleideten femme très masculine als Synonym für ,schöne Dame' wiederzufinden.

Der Unbekannte räusperte sich erneut, um das Schweigen zu brechen.

"Lord Charles Corday", stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an. Noch immer lag ein spöttisches Funkeln in den hellgrauen Augen.

"Comtesse de Mysteriéuse, Reneé de Mysteriéuse", erwiderte Aramis und nahm eine versuchsweise würdevolle Haltung an. Lord Corday runzelte erstaunt die Stirn, doch sein Lächeln strahlte um so heller.

"Ich wette, Ihr seid eine begnadete Reiterin, voller Eleganz und Anmut."

Aramis unterdrückte ein Lachen. Alle Adligen schärften ihre Sinne in Rhetorik und warfen mit leeren Phrasen um sich, aber angesichts ihrer eingeschnürten steifen Körperhaltung von Eleganz und Anmut zu sprechen, war doch zu abgedroschen. Immerhin war das Schauspiel vergnüglich.

"Mylady wird die Kutsche nehmen!" stieß Monsieur Broussard ärgerlich hervor und maß seinen Gegenüber mit abweisendem Blick. Aramis schüttelte innerlich den Kopf. Sie wusste, dass sie selbst über keinen Sinn für Sitte und Anstand verfügte, aber für Frederic Broussard schienen keinerlei Grenzen zwischen seiner Selbstüberschätzung und höher gestellten Personen zu bestehen.

"Mein SEKRETÄR hat recht. Es ist besser, in der Kutsche zu reisen", lenkte sie ein, um über sein ungebührliches Verhalten hinwegzutäuschen. Das Lächeln blieb, verlor aber etwas an seiner Natürlichkeit. Ihr Sekretär warf, von seiner herabgewürdigten Position aus, mit wütenden Blicken um sich.

Corday nickte. "In einer Kutsche seid Ihr vor dem Staub der Straße und den grellen Strahlen der Sonne geschützt. Ihr wollt nach London?" fragte Corday. Aramis bejarte.

"Ich reise ebenfalls nach London. Wenn Ihr erlaubt, biete ich Euch die Mitreise in meiner Kutsche an", bot er, mit einem galanten Lächeln, an und wies auf das nahestehende Gefährt hin, dessen goldverzierte Wappen die Sonnenstrahlen zurückwarfen.

"Ich danke Euch, aber nein, wir haben unsere eigene Kutsche ..."

Zischend unterbrach sie Broussard und zog sie beiseite.

"Wir haben keine Kutsche."

"Wie, wir haben keine Kutsche? Da steht sie doch."

"Kardinal Richelieu hat mir nur geringe Geldmittel zur Verfügung gestellt. Wir könnten das Geld sparen und Lord Corday's weit aus bequemere Kutsche nehmen."

"Das ist nicht Ihr Ernst?"

"Ich habe den ausdrücklichen Befehl, die Kosten möglichst gering zu halten und die Überfahrt Ihres störrischen Gauls hat uns schon zuviel gekostet, nur weil Sie Ihren Willen durchsetzen mussten. Die Staatskassen sind leer."

Beide drehten sich wieder Lord Corday entgegen und setzten zeitgleich ein zuvorkommendes Lächeln auf.

"Die Comtesse wird Eure Einladung dankend annehmen", erklärte Frederic Broussard und bemühte sich um eine geistreiche Miene, doch ihm gelang nur ein bauernschlauer Ausdruck. "In diesen Zeiten ist es besser, wenn eine Dame unter dem Schutz eines Edelmannes reist", schloss er salbungsvoll. >Oh ha<, dachte Aramis. Broussard war durchaus fähig für seinen Vorteil zu Katzbuckeln. Sie hatte sich schon gefragt, wie er mit seinem herablassenden Verhalten die Gunst des Kardinals erringen konnte, der nur Schönredner in seiner Gegenwart duldete.

Charles Corday enthielt sich einer Antwort. Er verneigte sich, mit einem spöttischem Zug auf seinen Lippen und winkte seinen Diener heran.
 

*1 geheimnisvoll (weiblich)

*2 geheimnisvoll (männlich)

*3 Schwanz

*4 Mannweib



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kajuschka
2004-04-30T14:36:48+00:00 30.04.2004 16:36
Och Menno, jetzt weiß ich nicht, was ich noch schreiben soll, ohne mich oder die anderen zu wiederholen. Ich schließe mich mal einfach meinen Vorrednern an. Ein sehr schönes Kapitel... und immer fein weiter schreiben. ^_^
Übrigends fände ich, dass Charles seinen Charme ruhig für Aramis verwenden darf. Die Gute Aramis soll doch auch mal ihren Spaß haben. ;-)
Von: abgemeldet
2004-04-29T16:40:08+00:00 29.04.2004 18:40
Und ich sag es wieder... ich bin ein Sensibelchen und dieser Broussard ist doch wirklich ekelerregend, aber wie immer hast du recht, dass Aramis dadurch noch besser ins Licht gerückt wird ;o) Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung, die ja immer sehr schnell geht :o)
Von:  Tach
2004-04-29T15:15:31+00:00 29.04.2004 17:15
Muahahahaha erste! Tja, was soll ich sagen...endlich mal ein kapitel, dass über die 2 Seiten hinausgeht. Sehr schön XD...aber nich dass sie mir da mit dem Charles auf falsche Gedanken kommt! Der kann sich an die Sophie halten ^^°
Und der Sekretär is dir wieder mal herrlich unsympathisch gelungen...hach ja ^^!


Zurück