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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

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Die Frau auf dem Dach

Finster starrte Athos zu den Männern im roten Waffenrock des Kardinals vor der kleinen Kirche. Das schmucklose, heruntergekommene Gebäude fügte sich nahtlos in die Reihe der kargen Lehmziegelhütten entlang der schmalen Gassen, aus denen der Gestank nach Abfällen und menschlichen Exkrementen entgegenwehte. In den Randvierteln von Paris herrschte Armut, Hunger, Krankheit und Hoffnungslosigkeit. Das Elend, mit denen die Menschen Tag für Tag konfrontiert waren, ließ keinen Platz, um sich um einen Toten zu scheren. In jedem anderen Teil von Paris scharrten sich die Bürger neugierig und mit dem feinen Geruch von Blutgier und Sensationslust in der Nase um ein Mordopfer. Der Anblick des Gesetzes, durch die roten Uniformen, ließ die Menschen hier reißaus nehmen.

Porthos knackte grimmig seine Handknochen. "Wie können sie uns ausschließen? Von wegen ,Zutritt verboten'! Aus dem Weg ihr Memmen!"

"Genau", pflichtete ihm D'Artagnan bei und zog seinen Degen. "Kämpfen wir uns den Weg frei. Die Untersuchung ist unser", schrie er mit glänzenden Augen.

"Nein!" Athos hielt sie zurück. "Das wird nur unnötig Ärger geben."

"Schade!" Sichtlich bekümmert ließen seine Freunde die Schultern hängen. Es gab schon lange keinen guten Kampf mehr.

"Wir wissen was wir sehen würden", fuhr Athos fort. "Ein Toter und jede Menge Blut. Nur dieses Mal kennen wir das Opfer."

"Ich bin Dr. Porte gestern Abend gefolgt. Er ist sicher zu Hause angekommen", verteidigte sich D'Artagnan.

Athos verschränkte die Arme vor der Brust und sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr.

"Das ist kein Zufall und es ist so sicher, wie das Amen in der Kirche, dass der Mörder von Dr. Porte ein anderer ist. Dr. Porte wusste zuviel. Man bringt ihn um und schiebt die Schuld dem Mörder von Saint Michel und Saint Antoine in die Schuhe." Stirnrunzelnd sah er den Wächtern zu, wie diese eine Kette bildeten und Eimer mit klarem Wasser durchreichten, während andere Eimer mit blutig-schmutzigem Wasser ihren Rückweg antraten. Die Botschaft war verwischt und unleserlich, aber immer noch da.

"Allerdings haben sie die Orthographiefehler in den letzten Botschaften übersehen. Sie haben die letzten Morde nur nachgestellt und waren dabei besser, als der ursprüngliche Mörder."

"Soll ich wieder ,mit Nachdruck' nachfragen?", fragte Porthos.

"Nein!"

Unbewusst nahm D'Artagnan die gleiche Haltung an wie sein älterer Freund und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Porthos grinste innerlich. Auch Aramis hatte zuweilen unbewusst die Haltung und Mimik von Athos angenommen. Sein Freund fehlte ihm. Er war das Bindeglied zwischen ihm und Athos.

"Rochefort verweigert uns die Mitarbeit an Dr. Porte's Tod. Steckt der Kardinal wirklich hinter der Vertuschung der Morde?"

Porthos nickte. "Wahrscheinlich. Sie strengen sich mächtig an, unsere Rotröcke. Hat er vielleicht die ersten beiden Morde beauftragt?"

"Das glaube ich nicht", wandte Athos ein. "Soweit würde er nicht gehen. Lasst uns Dr. Porte's Haus ansehen! Der Kapitän muss mit dem König sprechen, dass wir die Mordfälle weiterhin untersuchen können."
 

Also gut, noch einmal von vorn ...

Athos begann die Fakten zusammenzufügen, bis sie ein einheitliches Bild ergaben. Darauf kam es an.

Seine Puzzleteile bestanden aus drei Leichen, Botschaften aus Blut, den Spuren einer Liebesnacht sowie die wirre Aussage eines vor Angst halb wahnsinnigen Mannes.

Erneut hatte er das Gefühl, vor einer wichtigen fundamentalen Erkenntnis zu stehen.

Sie hatten Dr. Porte's Haus untersucht. Man hatte sie nicht an der Ermittlung gehindert, aber die Männer des Kardinals waren schon vor ihnen dort gewesen und hatten, wenn es jemals Spuren gegeben haben sollte, alles vernichtet. Unverrichteter Dinge kehrten sie zum Musketierquartier zurück. Zur rechten Seite erstreckte sich der Louvre an der Seine. Vor dem Haupttor herrschte eine dichtes Gedränge. Viele Menschen hatten sich vor dem Palast des Königs eingefunden. Eine Hälfte, um sich zu beschweren, die andere Hälfte, um die erste Hälfte zu beobachten. Das Geschrei hallte die breite Allee entlang. Angst und Unsicherheit sprach aus ihr.

Vor dem Musketierquartier standen sie ebenfalls. Mit Mühe und Not hielten de Treville's Männer sie zurück. Die drei Freunde schoben sich durch die Menge und gelangten auf den Innenhof. Wütende Stimmen begleiteten ihren Weg.

D'Artagnan stöhnte gequält. "Meine Güte, vor dem Palast des Kardinals wird es wohl ganz ähnlich aussehen." Unsicher sah sich der junge Mann um. Athos nickte nachdenklich und dachte finster daran, dass seine Eminenz, der Kardinal, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht unglücklich über die Entwicklung war. Richelieu würde alles nutzen, um eine Kriegserklärung gegen La Rochelle anzutreiben. Es war ein offenes Geheimnis, dass der Kardinal den letzten protestantische Fluchtpunkt als Schandfleck betrachtete. Würde der König einem Angriff stattgeben, jetzt da sich die Angst und der Zorn seines Volkes mit dem Machteinfluss des Kardinals vereinigte? Ludwigs Macht stand auf wackligen Beinen, unter dem zentnerschweren Gewicht von Richelieus Einfluss.

Sie hatten gerade das Hauptportal passiert, als ihnen drei Musketiere entgegentraten. Die drei, eher mittelmäßige Musketiere, sofern man dies von de Treville's Elitetruppe sagen konnte, stellten sich vor die Haupttreppe und versperrten ihnen den Weg.

"Wir wollen mit Euch sprechen."

Ihre blauen Waffenröcke waren zerknittert und fleckig, die Gesichter wiesen Spuren von Schmutz und Kratzern auf. Auf ihren Zügen lag ein entsprechend grimmiger Ausdruck, der fast an Hass grenzte.

"Was ist los, Claude?" Mit hochgezogener Braue maß Porthos seinen Gegenüber.

"Warum übernehmt ihr die Ermittlung in den Mordfällen?"

"Weil wir den Kapitän darum gebeten haben, die Ermittlung übernehmen zu dürfen", erwiderte Athos ruhig.

"Das ist ziemlich anmaßend von Euch."

"Das hat allein der Kapitän zu entscheiden", entgegnete Porthos und wollte den Musketier beiseite schieben. Claude schob ihm den Degen quer vor die Mitte. Um seinen Angriff zu entkräften, hielt er das Schwert an der Schneide und schob dem Koloss das Griffende entgegen.

"Ihr spielt Euch schon wieder in den Vordergrund", klagte er und maß die drei mit provokantem Blick. "Warum glaubt ihr eigentlich, etwas besseres zu sein, als wir anderen, dass ihr euch dauernd zu Sonderaufträgen aus dem Staub macht? Das passt uns nicht, das passt uns ganz und gar nicht."

"Darum du Streithammel!", knurrte der Koloss gereizt und wollte die Diskussion als beendet betrachten.

"Wir sind doch alle Musketiere. Warum suchst du Streit, Claude?", warf D'Artagnan ein.

"Sei still, Kleiner!"

Der grimmige Ausdruck in den Gesichtern der Musketiere verstärkte sich.

"Während ihr euch erdreistet Polizeiarbeit zu übernehmen, mussten wir uns der Menge stellen!"

"Ihr tragt ja noch nicht einmal eure Uniform!"

Athos hob beschwichtigend seine Hände. Es konnte nicht angehen, dass sich Musketiere untereinander stritten. Der Zusammenhalt war eines der größten Stärken der Musketiere. Einer der Gründe, weshalb sie der Garde des Kardinals überlegen waren.

"Beruhigt Euch jetzt! D'Artagnan hat recht, wir sind alle Musketiere."

"Anscheint einige bessere als andere", ereiferte sich ihr Wortführer.

"Ganz recht, du Großmaul!" Wütend ballte Porthos die Hand zur Faust, dass die Handknochen knackten. Mahnend legte Athos seinem Freund die Hand auf den Arm und warf D'Artagnan, der seinen Degen ziehen wollte, einen unerbittlichen Blick zu. Durch den Lärm angelockt, kamen noch weitere Kollegen herbei.

"Hört auf, keiner ist besser, als der andere! Wir alle stehen im Dienst ..."

"Spar dir deine Reden, Athos!", unterbrach ihn Claude ungehalten. "Du, Porthos und Aramis, ihr habt euch schon immer ausgeschlossen und jetzt kommt der Grünschnabel hinzu ..."

"... wen nennst du hier Grünschnabel?"

"... jetzt arbeitet ihr nicht einmal mehr mit uns zusammen", fuhr er wütend fort. "Aramis ist schon weg und nun habe ich diese Woche schon zum dritten Mal eine eurer Schichten übernehmen müssen!"

Betreten schwieg Athos. Sanft aber bestimmt drückte er Claude's Arm mit der Waffe nieder.

"Der Kardinal hat alle Untersuchungen durch uns unterbunden. Es wird vorerst keine Ermittlungen geben!", sagte er. In Claude's Zügen rangen Einsicht und Trotz miteinander. Noch wollte er an seinen Zorn festhalten.

"Was ist denn hier los?"

Ehrerbietig erschien der Kapitän am Treppenende.

"Was haltet ihr hier maulaffenfeil? Habt ihr nichts zu tun? An die Arbeit, aber schnell!", bellte er. Sekunden später hatte sich die Musketiertraube am Treppenfuß zerstreut. Nachdenklich sahen sich Athos, Porthos und D'Artagnan an.

"Was soll das?"

Die anderen zuckten verständnislos die Schultern. Piere, der junge Musketieranwärter, kam langsam um die Ecke. Sein bartloses Jungengesicht war zerkratzt und seine Stirn zierte eine frisch verarztete Platzwunde. Aramis ehemaliger, zwangsrekrutierter Sonderermittler schlürfte den Gang entlang, mit dem rückratlosen Gang der Halbstarken.

"Piere, was ist hier los?"

Fragend blickte er auf.

"Oh, Athos? Hier war mächtig was los. Die Menschen sind wie wahnsinnig. Das hättet ihr sehen sollen! Sie hätten fast das Hauptgebäude gestürmt, wenn der Kapitän nicht in die Luft geschossen hätte."

"Und das?" D'Artagnan wies auf die Blessur auf seiner Stirn. Der Junge seufzte.

"Sie haben mich einfach überrannt. Wann kommt Aramis wieder?"

"Bald, Piere."

Piere nickte kummervoll

"Es ist nur ... der Kapitän hat mir niemanden mehr zur Seite gestellt und ich ... meine Degenführung ist längst noch nicht ausreichend und ... der Kapitän verliert so schnell die Geduld mit mir." Seufzend und mit hängenden Schultern schlurfte er weiter, um sich um das Pferd des Kapitän zu kümmern.
 

Seufzend, sich reckend und sein Kreuz durchdrückend, betrat Porthos einen der Musketierräume. Sein Unterkiefer knackte beim Gähnen. Schweigend betrachtete er seinen Freund. Athos saß, das Kinn aufgestützt, nachdenklich aus dem Fenster sinnend, am Tisch. Die Stirn des Musketiers lag in tiefen Falten. Porthos hatte seinen Freund in letzter Zeit zu häufig in dieser Pose angetroffen. Zwar zog sich Athos öfters in seine Gedankenwelt zurück und war der Ruhigste unter seinen Freunden, aber dieser Zustand weilte schon zu lange. Sofern die Leidenschaft für die Mordfälle ihn verließ und Ruhe einkehrte, fiel Athos in diesen schwermütigen Zustand.

"Kommst du? Gehen wir nach Hause." Athos erwachte aus seiner Lethargie und schüttelte bedauernd den Kopf.

"Doppelschicht."

"Du nimmst dir doch nicht das dumme Geschwafel von Claude zu Herzen? Er ist ein Mistkerl."

Athos schüttelte abermals den Kopf.

"Ich gehe heute abend zu Madam Bofrait. Kommst du mit?", fragte Porthos. "D'Artagnan begleitet Constance zu ihrem Vater. Wir sind heute Nacht nur zu zweit."

Athos zuckte unbestimmt die Achseln. Er hatte lange nicht mehr die Gunst einer Frau genossen, aber seine Gedanken weilten längst nicht mehr bei den namenlosen Schönheiten unter seinen Verehrerinnen oder den Damen des käuflichen Gewerbes.

"Vielleicht hast du Glück und Madam Bofraits Schönheit, Angelique, ist dort. Bisher habe ich sie nicht angetroffen. Sie soll von unvergleichlicher Schönheit sein. Genau das richtige für dich. Ich halte mich eher an bodenständige Frauen, wie Madam", erklärte sein hünenhafter Freund.

"Warum nicht. Wir treffen uns dort nach Schichtende."

Porthos nickte zustimmend und machte sich auf den Weg nach Hause. Athos Blick glitt wieder nachdenklich aus dem Fenster. Er hörte Stimmengewirr aus dem riesigen Inneren des Hauptquartiers. Nach dem Zusammenstoß

mit ihren Kollegen, schien die Kameradschaft wieder in die heiligen Hallen der Musketiere zurückgekehrt zu sein. Oberflächlich gesehen waren durch den kurzen, aber heftigen Zornausbruch die Wogen geglättet. Aber Athos spürte das noch längst nicht alles in Ordnung war. Eine Kluft, die vorher nicht da gewesen war, hatte sich aufgetan. Er spürte es in den Blicken und im Unterton der anderen. Was war es? Sie benahmen sich nicht anders als sonst. War es die Panik unter der Bevölkerung oder die Zersplittung ihrer Gruppe, da Aramis in England weilte? Aramis hatte sich um die Schwächeren und die Neuanfänger der Musketiere gekümmert. Sich selbst hatte er mit zusammengebissenen Zähnen und eisernen Willen an die Spitze gebracht. Verspottete man sein androgynes Aussehen hinter seinem Rücken, so kam doch jeder Musketier mit kleinen, persönlichen Problemen zu ihm. Unbewusst spürten die Männer, dass sie bei ihrem zerbrechlich wirkenden Kollegen ein offenes Ohr und in ihrer harten Männerwelt ein ungewohntes Maß an Feingefühl fanden. Zum ersten Mal erfasste Athos die ganze Tragweite, von Aramis Interesse und Anteilnahme an seinen Kollegen. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie wenig sie ohne Aramis mit den anderen Musketieren gemein hatten.
 

Sichtlich angetrunken, sackte Porthos tiefer in das weiche Polster ein. Verärgert hob er den Blick.

"Du bist spät!"

Gleichmütig zuckte Athos die Schultern und sah sich um. Für einige Sekunden verharrten die Freudenmädchen still in ihren Bewegungen, ganz gleich ob sie mit Kunden beschäftigt waren oder nur zur Dekoration des Hauses beitrugen. Selbst das abgenutzte Herz einer Hure schlug schneller bei einem schönen Mann. Ihre Erfahrungswerte mit Kunden jeglicher Art ließ sie sofort erkennen, wann ein Mann ein guter Liebhaber war. Die Träger der zarten Mieder rutschten tief, das Gebärden wurde sinnlicher, der Blick unter den geschminkten Augenlidern lasziver.

"Ist das Euer Freund, Monsieur Porthos?" Madam Bofrait strich wie eine Katze um den Musketier und schnurrte leise. Porthos nickte und bekämpfte eine aufsteigenden Alkoholwolke aus Richtung Magengegend.

"Der beste Degenführer von ganz Paris, Madam und der Klügste unter den Musketieren", bestätigte er. Madame Bofrait nickte anerkennend. Ihr schmalen Finger strichen über Athos Schulterblatt, bevor sie vor ihm zum Stehen kam und ihm glutvoll in die Augen sah. Dieser hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ernst auf die Bordellbesitzerin nieder. Seine Augen lächelten.

"Er übertreibt, Madam!"

"So, tut er das oder seid Ihr einfach nur zu bescheiden? Womit kann ich Euch dienen?", fragte sie. "Eine Erdbeere?"

Athos verneinte. Weshalb war er eigentlich hier? Er hatte es in den langen Arbeitsstunden vergessen. War es die Sehnsucht nach einer Frau, die Neugier auf die Hure Angelique oder spürte er, dass hier ein weiteres Puzzleteil zu den Morden lag? Er sah sich erneut um. Auf einem der Sessel saß eine junge Frau. Sie war anfang 20, schlank und blondes Haar fiel ihr sanft über ihre Schultern. Er glaubte aus der Entfernung blaue Augen zu erkennen. Flüchtig stieg in ihm Verlangen hoch. Er sah noch einmal zu ihr und sie wurde wieder zu dem namenlosen Freudenmädchen, das es für ihn war. Die Sehnsucht nach ihren Diensten schwand. Eine Schicht aus kunstvoller Schminke lag über den zu früh gealterten Zügen. Athos war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass er hier keine Befriedigung finden würde. Im Gegenteil, Madam Bofrait Etablissements erregte fast seinen Widerwillen. Aber woher kam das Sehnen nach einer Frau, dass hier nicht so einfach gestillt werden konnte? Vielleicht würde eine Schönheit wie Angelique ...

"Seid Ihr wegen Angelique hier?", fragte Madam Bofrait und kaute genüsslich auf einer Erdbeere herum. Ihre rot nachgezogenen Lippen saugten an der Frucht wie eine Verheißung.

"Nein, Madam", log er und wünschte sich im Augenblick überhaupt nicht hier zu sein. Die Ruhe seiner Wohnung, die Aussicht auf ein gutes Buch und Zeit für seine Gedanken, erschien ihm um so verheißungsvoller.

"Sie ist beschäftigt, Athos", sagte Porthos. "Ich habe sie bislang auch noch nicht zu Gesicht bekommen", räumte er säuerlich ein und wandte sich an Madam Bofrait. "Wenn sie nur halb so schön ist, wie geheimnisvoll, Madam, dann muss sie von außergewöhnlicher Schönheit sein."

"Aber sicher Monsieur Porthos. Das habe ich Euch doch versichert." Flüsternd beugte sie sich näher zu den beiden Männern. "Das bleibt unter uns, mein Freunde, aber ich habe erfahren, dass sie die Geliebte eines sehr einflussreichen Mannes ist. Er hält sie bislang versteckt, aber er bezahlt ihr die Miete einiger Zimmer in der Rue de Revolinne." Stolz über den Stand ihrer Kenntnisse richtete sie sich wieder auf. Freilich nicht, ohne vorher Porthos einen tiefen Einblick in die Wunderwelt ihres Dekolleetes zu gewähren.

"Bereiten Ihnen Angelique's Freier wieder Sorgen, Madam?", fragte der hünenhafte Musketier. Sie griff erneut nach einer Erdbeere und schüttelte den Kopf, dass die roten Locken flogen.

"Nein! Wenn ihr noch etwas wartet, wird Angelique gewiss bald fertig sein. Vielleicht ist sie heute bereit ,mehr' als nur einen Freier zu empfangen", erklärte sie und maß Athos mit einem bedeutungsvollen Blick. Dieser schüttelte den Kopf.

"Nein, Madam. Ich werde mich nach Hause begeben."

"Ein anderes Mädchen?", fragte sie betrübt.

"Nein, danke."

"Eine Erdbeere?"

"Nein, Madam", erwiderte er lächelnd.

"Sind sowieso alle", erklärte sie, mit einem kummervollen Blick auf die leere Schale.

"Du kannst doch nicht viel zu spät hier aufkreuzen und dann unverrichteter Dinge einfach wieder gehen!" Porthos warf seinen Freund einen bitterbösen Blick zu. "Ich warte seit vier Bierhumpen hier auf dich."

"Es tut mir leid, mein Freund, aber ich möchte wirklich nicht bleiben."

Madam Bofrait umklammerte den Arm des Kolosses. "Aber Ihr bleibt doch?" Doch der Riese schüttelte nur den Kopf. Alleine wollte er hier auch nicht sein.

"Aber Ihr kommt wieder?"

Ein strahlendes Lächeln antwortete ihr.

"Aber natürlich, Madam."

Mit einem bedauernden Ausdruck auf ihren Gesichtzügen ließ sie ihn los.
 

Draußen empfing die beiden Männer Dunkelheit und Kälte. Ein frischer Wind blies und vertrieb die Wärme des Tages. Porthos gähnte herzhaft.

"Vielleicht hattest du recht, nach Hause zu gehen. Es war ein langer Tag und es ist ziemlich spät. Man wird auch nicht mehr jünger."

Athos grinste verschmitzt. "Hört, hört!"

"Warte noch kurz! Ich muss mich der vier Bierkrüge entledigen", wandte Porthos ein und verschwand schon in einer dunklen Gasse.

"Beeil dich", rief ihm Athos hinterher und empfand just im selben Augenblick das dringende Bedürfnis, ihm zu folgen.

"Das hätte ich nicht mehr bis nach Hause geschafft", gestand sein Freund und legte zufrieden den Kopf in den Nacken, um den Sternenhimmel zu betrachten. Das Entledigen vierer Bierkrüge nahm einen entsprechenden Zeitraum in Anspruch.

Ein Dachziegel fiel hinter Porthos zu Boden. Er blickte sich um.

"Da hockt eine Frau mit einem riesigen Messer auf den Dach", platzte es aus ihm heraus. "Athos, eine Frau und sie sieht direkt ... Sie starrt mich an, Athos?" Vor Schreck fiel ihm die Kinnlade herunter. "Was mache ich jetzt, Athos?"

"Vielleicht solltest du dir die Hose hochziehen", riet Athos und begann über Fensterbänke und Kisten nach oben zu klettern.

In diesem Moment ertönte ein markerschüttender Schrei einer Frau aus einer der Nebengassen. Athos sprang wieder auf den Boden der Gasse und rannte dem Schrei entgegen. Mit heruntergelassener Hose versucht Porthos ihm zu folgen. Er stolperte ein paar Mal und versuchte, das Ordnen seiner Kleider und das Laufen gleichzeitig zu erledigen. Seufzend gab er auf. Er zog sich die Hose hoch, richtete seine Schärpe und rannte anschließend hinter seinem Freund her. Keuchend erreichte er einen kleinen Platz. Eine Frau im schlichten Kleid der Bürgerschicht, hatte sich schutzsuchend an die Wand gepresst. Ihr Mund hörte nicht auf, Luft für immer schrillere Schreie zu produzieren. Athos kniete neben einen am Boden liegenden Mann. Durch das Geschrei der Frau waren andere Passanten eingetroffen. Schnell schob Porthos die Menschen vor ihm beiseite. Athos drehte sich herum und sah zu Porthos auf.

"Der nächste Mord." Seine Hand schloss dem Toten die Augen. Als ob der Schrecken der ausgeweideten Leiche nicht genug war, erstrahlten die blutigen Letter an der Wand im kalten Licht des wolkenlosen Mondes - ein Satz, entstellt durch mangelnder Orthographiekenntnisse. Wortlos wies Athos Arm auf die Kirche. Die Glocken von St. Gabriel läuteten Alarm. Der Mörder von St. Michel und St. Antoine hatte wieder zugeschlagen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2004-06-24T09:43:22+00:00 24.06.2004 11:43
Huhhhh, ich spüre, dass das Geheimnis bald gelüftet wird...
Du wirst uns immer überraschen, glaub ich :o)
Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung :o)
LG
Von:  amacie
2004-06-22T08:15:37+00:00 22.06.2004 10:15
*kopf schüttel über Keks*
faszinierend ist genau die richtige Bezeichnung für dich ^-^

so also zu der Story muss ich natürlich auch einen Kommentar abgeben (hätte zwar schwören können das ich hier schon ein paar hinterlassen habe, aber anscheinend hatte mein PC auf der Arbeit eine andere Ansicht XD)
Also bis hierher ist es natürlich erste Sahne. Spannend, prickelnd, witzig, aufregend, hat einfach alles was in einer guten Story dabei sein muss.
Und auch noch so unendlich lang! Ich glaub bei mir wären da schon sämtliche Ideen ausgegangen *drop* (sind sie im Moment ja auch^^) da können wir ja noch ganz schön gespannt sein, wie es weitergehen wird. (meine arme Arbeit die wird ganz schön drunter leiden, wenn ich nur noch am lesen bin ^-^)
Lass dich also nicht aufhalten, das nächste Update wird sehnsüchtig erwartet^^

^°^ amacie
Von:  Tach
2004-06-20T18:51:59+00:00 20.06.2004 20:51
Interessant. wenn man gleichzeitig Fußball guckt und versucht dir nen Kommetnar zu schreiben wird aus Teil Tor...faszinierend ^^°...
Von:  Tach
2004-06-20T18:50:30+00:00 20.06.2004 20:50
Uhhhhh es knistert XD. Die Spannung wird immer größer und ich hoffe mal, dass es bis zum nächsten Tor wieder nur 2 Tage dauert...das wäre dann Dienstag, da komm ich abends grad frisch von ner Wohnungsbesichtigung wieder. Lässt sich da was einrichten? =)
Von:  Kajuschka
2004-06-20T14:57:25+00:00 20.06.2004 16:57
Du machst es wieder sehr spannend. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel (auch wenn es etwas dauert). Wie immer sehr schön geschrieben. Weiter so. ^-^


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