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Der Schöne und das Biest [ 2 ]

von

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Erst gegen Mittag wachte ich wieder auf, atmete tief durch und war nur noch leicht gereizt. Statt der Wut, machte sich nun die Enttäuschung über Kamijos beispiellose Blödheit in mir breit. Wieso hatte er sich auch nur so vollaufen lassen?!

Nach einem Schluck Kaffee schleppte ich mich die Treppe nach oben und hörte schon von weitem sein Schnarchen hinter der Schlafzimmertür. Dies gab mir Grund genug wieder umzudrehen, aber die Verlockung war groß einen Eimer mit eiskaltem Wasser zu nehmen und ihn damit zärtlich zu wecken.
 

Ich ging aber zurück ins Wohnzimmer, trank dort meinen Kaffee weiter und schaltete den Fernseher ein, um mich etwas abzulenken. Meine Gedanken kreisten aber natürlich weiter um die schnarchende Flasche Pennerglück aus dem Schlafzimmer. Was sollte ich ihm sagen, wenn er wieder zu sich kam? Was sollte ich ihm vorwerfen? Hatte ich überhaupt das Recht dazu?

Fest stand, dass ich mich ihm nicht gegenüberstellen konnte, als wenn nichts gewesen wäre. Ich konnte ihn definitiv dafür anmaulen, dass er so verantwortungslos gesoffen hatte. Und im Grunde genommen auch dafür, dass er mich erst so scharf gemacht hatte, um dann meine Erregung mit seinem Erbrochenem im Klo herunter zu spülen.
 

Meine Wangen färbten sich rot. Ich war erstaunt über mich, dass ich doch tatsächlich am Abend zuvor dazu bereit gewesen war mich auf ihn einzulassen. Fast schon einfach so! Aber es war ja kein Geheimnis, dass dieser Mann ein Talent dafür hatte mich um seinen Finger zu wickeln – Selbst im Vollrausch-Modus!

Ich dachte noch eine ganze Weile weiter darüber nach, bis ich plötzlich wieder hörte, wie Kamijo sich übergab. Ich seufzte schwer und senkte den Kopf. Was zur Hölle hatte er nur getrunken?!
 

Erst wollte ich unten warten, bis er von alleine zu mir kam, aber ich machte mir doch zu viele Sorgen und lief also langsam nach oben. Als es wieder bis auf ein Husten still im Bad wurde, kam ich herein und tupfte ihm erneut mit einem nassen Handtuch das Gesicht ab.

„Guten Morgen! Gut geschlafen?“, grüßte ich mit einem sarkastischen Unterton und registrierte, dass Kamijo sich anscheinend so sehr schämte, dass er mich nicht mal ansehen konnte. Er sah noch immer sehr schlecht aus, hatte tiefe Ränder unter den Augen und eine ungesunde Gesichtsfarbe. Er atmete tief durch und blieb auf dem Boden sitzen.
 

„Hizaki, ich… ich weiß nicht, was ich sagen soll.“, wisperte er heiser und hustete wieder.

„Das weiß ich auch nicht, um ehrlich zu sein. Aber erst mal solltest du duschen, wenn du dazu in der Lage bist. Und dann reden wir gleich… oder so.“, murmelte ich und seufzte erneut. Er nickte langsam und tat mir fast schon Leid, aber ich wollte kein Mitleid mit ihm haben. Das hatte er nicht verdient!

„Meinst du, du kannst schon irgendwas essen? Dann mach ich dir was. Oder willst du einen Kaffee? Soll mit Zitrone Wunder bewirken bei Katerstimmung.“, murmelte ich und kam doch nicht darum herum, mich irgendwie um ihn zu kümmern und ihn zu umsorgen. Er stand langsam sich an der Wand abstützend auf und schüttelte den Kopf.
 

„Nein, danke. Lieber nicht.“, sagte er leise und atmete tief durch. Ich nickte also, stand ebenfalls auf und lief aus dem Bad, damit er in Ruhe duschen konnte. Was ihm wohl durch den Kopf ging? Immerhin zeigte er Reue. Auch ein sehr seltener Anblick, den ich mir aber auch gern erspart hätte.
 

Eine halbe Stunde später schleppte er sich im Schlabberlook sichtlich erschöpft die Treppe herunter und schlich sich zu mir auf die Couch. Er setzte sich mit etwas Abstand neben mich und atmete tief durch. Sein Blick war auf seine Füße gerichtet. Ich musterte ihn nur kurz aus den Augenwinkeln, stand dann auf und holte ihm ein Glas Wasser.

„Du brauchst Flüssigkeit.“, sagte ich nur und er nickte.

„Danke.“, murmelte er und eine bedrückende Stille herrschte zwischen uns beiden. Mein Herz begann etwas schneller zu schlagen, denn diese komische Stimmung gefiel mir überhaupt nicht. Ich wusste aber auch nicht, wie oder was ich daran ändern sollte. Würde mit einer Entschuldigung Kamijos wieder alles rosarot und gut sein? Aber diese Entschuldigung kam ja nicht mal… Das enttäuschte mich noch mehr, weil ich irgendwie zumindest damit gerechnet hatte.
 

„Du siehst müde aus. Willst du noch etwas schlafen?“, merkte ich also irgendwann an, nach genauerem Betrachten meines Freundes und seufzte. Sonderlich gesprächig war er ja nicht, sondern starrte nur betrübt seine Füße an.

„Ja, vielleicht.“, murmelte er und ich verdrehte die Augen.

„Dann lass ich dich wohl erst mal.“, grummelte ich und wollte aufstehen, doch Kamijo packte mich am Arm und zog mich zurück auf die Couch. Ich sah ihn überrascht an und blickte in sein verzweifeltes Gesicht.

„Ich… finde einfach keine Worte für gestern. Alles, was ich mir dazu überlege und sagen könnte… Es würde ja doch nicht annähernd ausreichen, um das gestrige Geschehen wieder gut zu machen.“, säuselte er leise und schluckte sichtbar schwer. Ich schaute ihn einfach nur an und ließ seine Worte auf mich wirken.
 

Dann atmete ich tief durch und zog ihn in meine Arme. Das tat ich noch nie zuvor, denn sonst war er derjenige, der mich immer so in seine Arme zog.

„Ich bin schon mal froh, dass du es anscheinend bereust.“, sagte ich und streichelte ihn beruhigend. Ich spürte, dass er dankbar dafür war, denn er schmiegte sich vorsichtig an mich und legte die Arme locker um meinen Körper. „Und… eigentlich war es ja auch gar nicht soo schlimm. Du hast ins Klo gekotzt, nicht ins Bett, bist brav mit dem Taxi gefahren und hast ansonsten keine Dummheiten gemacht. Also?“, versuchte ich dann seine Reue zu mildern und ertappte mich dabei, wie ich die Ereignisse auch für mich selbst als harmloser einstufte.
 

„Keine Dummheiten?!“, entgegnete Kamijo aber plötzlich empört und löste sich von mir, um mich wieder verzweifelt ansehen zu können. „Nicht nur, dass ich mich kopflos dem Alkohol hingab, ich… ich…“, begann er aufgeregt, kam aber vorerst nicht weiter, da er mich anscheinend nicht weiter ansehen konnte. Er senkte also den Kopf und murmelte: „Ich habe die Beherrschung verloren und habe dich dermaßen überfallen… Auch, wenn du am Ende zusagtest, ich… ich hätte nicht so überstürzt vorgehen dürfen. Das war nie meine Intention gewesen.“ Ich wurde etwas rot und spürte, wie sich langsam ein Kloß in meinem Hals formte. Er schien sich also noch recht ausführlich an die vorige Nacht zu erinnern.

Irgendwo war ich gerührt von dem, was er sagte. Er war eben doch mein Prinz und bereute seinen Ausrutscher mehr, als er eigentlich musste. Und da erkannte ich es: Es war nur ein Ausrutscher gewesen. Nichts, was Kamijo auszeichnete oder zu seinen Eigenschaften gehörte. Ein einfacher Ausrutscher.
 

Ich lächelte ihn also mild an und küsste ihn einfach. Anschließend sah ich in sein überraschtes Gesicht und sagte:

„Du kannst es aber auch nicht mehr rückgängig machen und… sei doch froh: Ich habe das Gefühl, nicht mehr ganz so… ängstlich zu sein.“ Er blinzelte mehrmals verwundert und lachte dann ganz leise und zaghaft auf.

„Du bist also wirklich nicht sauer auf mich?“, vergewisserte er sich noch mal und ich schüttelte den Kopf.

„Eigentlich nicht, auch wenn ich mir vornahm eine Weile beleidigt zu sein. Aber deinen Kater zu beobachten, reicht mir als Genugtuung.“, grinste ich und küsste ihn erneut. Er lächelte mich dankbar an und schlang die Arme um mich.

„Ich danke dir, Hizaki.“, wisperte er und ich erwiderte seine Umarmung. Ich konnte ihm ja doch nicht böse sein, selbst wenn ich wollte. Und trotzdem war es eine eigenartige Erfahrung, die ich an jenem Abend gemacht hatte. Kamijo out of control, quasi. Könnt ihr euch das vorstellen?
 

Als ich glaubte, dass es mit den seltsamen Ereignissen vorerst reichte, ging es am selben Tag noch merkwürdig weiter: Kamijo verbrachte den gesamten Tag leidend auf der Couch und versuchte eifrig das, was er trank und aß in seinem Körper zu behalten, während ich mich anderweitig beschäftigte. Ich spielte im Garten etwas Gitarre, als ich plötzlich die Klingel der Haustür hörte. Schnell legte ich meine heimliche Geliebte beiseite, sprang auf und während ich zur Tür rannte, rief ich durch das Haus: „Ich geh schon, bleib liegen!“
 

Nachdem ich die Tür geöffnet hatte, schaute ich überrascht in Kisakis Gesicht, der mich nicht weniger überrascht ansah.

„Hizaki?“, fragte er verwirrt.

„Kisaki!“, rief ich erstaunt, doch schnell schoben sich meine Augenbrauen zusammen. Warum sah er so gesund aus und gut wie immer?! „Was willst du? Kamijo geht es nicht gut.“, grummelte ich und sah ihn vorwurfsvoll an. Er grinste frech und lachte leise.

„Haha, das dachte ich mir, deswegen bin ich hier.“, sagte er und schob mich einfach beiseite, um ins Haus zu kommen. Er schob mich einfach weg! Und es wunderte und ärgerte mich auch irgendwie sehr, dass er gar nicht wusste, dass ich bei Kamijo war… Hatte der ihm denn nichts von uns erzählt?
 

„HALLOOO!“, brüllte er Kamijo fast schon direkt ins Ohr und lachte anschließend dreckig.

„Oh mein Gott, Kisaki! Spinnst du?! Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen!“, klagte Kamijo mit leidendem Gesicht und hielt sich die Ohren zu. Ich schloss die Tür und beobachtete die beiden kurz vom Flur aus. Was fiel diesem Blödmann eigentlich ein?!

„Dr. Kisaki hat Schmerzmittelchen dabei. Du verträgst aber auch echt gar nix.“, seufzte Kamijos Freund und schmiss ihm die Tabletten in den Schoß. Kamijo setzte sich schwerfällig auf und Kisaki platzierte sich neben ihn. Als ich auch ins Wohnzimmer kam, sagte Kisaki an mich gewandt: „Hier, kannst du dich mal nützlich und Kaffee machen oder so?“
 

Ich riss meine Augen auf und war geschockt. Hielt er mich für Kamijos Dienstmagd?! Ich sah, dass Kamijo die Augen verdrehte und langsam versuchte aufzustehen.

„Nein, ist schon gut. Ich mach das.“, murmelte er, doch ich seufzte und lief einfach in die Küche, weshalb er sich wieder setzte.

„Was willst du hier?“, hörte ich Kamijo fragen und bediente also die High-Tech-Kaffeemaschine. In mir brodelte alles und ich hoffte, dass Kisaki bald wieder abhauen würde. Kamijo brauchte seine Ruhe und ich mochte ihn nicht!
 

„Was denn? Darf man nicht mal mehr nach seinem Freund sehen? Du warst gestern so voll, ich hab’ mir Sorgen gemacht, ob du überhaupt nach Hause gekommen bist. Du hast so dermaßen wirres Zeug geredet gestern, das war zu geil!“, lachte Kisaki und ich knurrte leise. Ich schaute zwischen Kaffeetasse und Gewürzregal hin und her und griff schließlich gezielt nach dem Wasabi, um ihm so viel wie möglich von der grünen Paste in den Kaffee zu rühren. Ein diabolisches Grinsen formte sich in meinem Gesicht und ich kicherte leise. Schnell verwandelte ich es aber in ein engelsgleiches Lächeln und ging also ins Wohnzimmer, um Kisaki den Kaffee zu servieren.
 

„Bitteschön!“, trällerte ich lieblich und bekam nicht mal ein Danke von diesem Penner. Er ignorierte mich einfach und unterhielt sich weiter mit Kamijo über den ach so witzigen Abend, aber ich merkte Kamijo an, dass es ihm sichtlich unangenehm war. Ich setzte mich also auf den Sessel, da auf der Couch nicht genug Platz war und hörte den beiden zu. Dabei wartete ich die ganze Zeit ungeduldig darauf, dass Kisaki endlich einen Schluck Kaffee trinken würde…

„Du hast ja schon nach dem dritten Sake schlapp gemacht! Und das war voll kacke dich ins Taxi schleppen zu müssen. Du wirst auch immer so ultra nervig, wenn du betrunken bist! Noch mal spiele ich nicht dein Schmusekätzchen.“, hörte ich Kisaki reden und riss geschockt meine Augen auf.
 

Mein Herz rutschte in den Keller und ich schluckte schwer. Wie sollte ich das denn verstehen?! Ich versuchte in Kamijos Gesicht eine Erklärung zu finden, doch sein verzweifelter Blick beunruhigte mich nur noch mehr. Ich stand gerade auf, um der Situation zu entfliehen, als Kisaki einen Schluck Kaffee trank und ihn umgehend wieder auf den Wohnzimmerteppich ausspuckte.

„Hizaki!“, hörte ich Kamijo rufen, doch dann bekam Kisaki wieder seine Aufmerksamkeit, da er unheimlich über den scharfen Kaffee fluchte.

Ich rannte nach oben ins Schlafzimmer und warf mich aufs Bett. Alles in mir drehte sich und ich zitterte ein wenig vor Aufregung.
 

Kamijo hatte einem seiner besten Freunde nichts von unserer Beziehung erzählt… Er verschwieg mich! Und sie schienen sich näher gekommen zu sein, als Kamijo betrunken war. Kein Wunder, dass Kamijo ein dermaßen schlechtes Gewissen hatte!

„Oh Gott, nein…“, flehte ich leise und begann zu weinen. Ich wollte nicht wahr haben, dass er mir in irgendeiner Weise fremdgegangen war. Das konnte doch nicht möglich sein! Und dann auch noch mit diesem Mistkerl? Da wäre mir Kaya wirklich fast schon lieber gewesen.

Kaya! Ich musste ihn anrufen und mit ihm reden. Streit hin oder her. Als ich gerade mein Handy suchen wollte, kam Kamijo ins Zimmer geschlichen und sagte:
 

„Hizaki, es tut mir Leid, er ist furchtbar ungehobelt und -… Weinst du etwa?“

Er sah mich besorgt und überrascht zugleich an. Ich wischte mir hektisch die Tränen weg und murmelte: „Lass mich grad einfach mal in Ruhe, ja? Ich… ich werde versuchen Kaya zu erreichen und dann gehe ich für ein paar Stunden weg. Egal, ob er Zeit hat oder nicht. Das wird mir gerade irgendwie alles zu viel.“ Er lief schnell auf mich zu und wollte mich in den Arm nehmen, doch ich schob ihn weg.

„Hizaki, nein! Bitte nicht, es ist wirklich nicht so, wie er es erzählt. Bitte geh nicht, ich schmeiße ihn gleich aus dem Haus, ja? Bitte, Hizaki. Wir wollten doch über alles reden! Und ich brauche dich.“, flehte er fast schon und sah mich wieder verzweifelt an. Ich zögerte kurz, doch dann schüttelte ich den Kopf und schluckte schwer.
 

„Ich muss hier raus, sonst drehe ich durch. Das gestern und heute… Sorry, aber ich komme ja heute Abend wieder.“, entschied ich, griff nach meinem Handy, welches auf der Fensterbank lag und lief aus dem Zimmer. Kamijo folgte mir nicht und ich konnte also ungehindert in den Flur stürmen, Schuhe und Jacke anziehen und das Haus verlassen.
 

Auf halbem Weg zur U-Bahn rief ich also Kaya an und hoffte, dass dieser erreichbar war. Ich musste einfach mit irgendwem reden und meinen Kopf sortieren. Oder sortieren lassen, wie auch immer. Freunde waren in solchen Momenten unbezahlbar. Und ich hätte es keine Sekunde länger mit diesem arroganten Idioten im Haus ausgehalten. …Nein, ich meine mal nicht Kamijo, sondern wirklich Kisaki! Der schien ja sonst immer ganz nett und in Ordnung, aber das, was er bei uns Zuhause an den Tag legte, ging gar nicht!
 

Es tutete und tutete und Kaya schien mal wieder mit sonst was beschäftigt gewesen zu sein. Womöglich war schon Lover-Zeit, da war er grundsätzlich ab 18 oder 19 Uhr nicht erreichbar. Ich schaute auf die Uhr. Japp, Lover-Zeit.

„Mist!“, fluchte ich und rief also Tomozo an. Der ging immerhin an sein Handy, doch glaubte ich zunächst, dass ihn ein Monster gefressen hatte und für ihn ans Telefon ging, als eine tiefe, raue und krächzende Stimme murmelte: „Hallo?“

„Tomozo, bist du das?“, fragte ich geschockt und bekam große Augen. Ich stellte mich nebenbei vor den Fahrplan der U-Bahn und schaute, wann die nächste denn fuhr.

„Ja. Ich bin krank wie Sau! Voll zum Kotzen.“, röchelte er kaum verständlich und brach in einem Hustenanfall aus, der so laut war, dass ich kurz das Handy von meinem Ohr nehmen musste. Der schien wohl richtig arm dran gewesen zu sein, da wollte ich ihn ungern mit meinem Krams belasten.
 

„Soll ich dir eine Suppe vorbeibringen oder willst du dich lieber weiter ausruhen?“, fragte ich aber, denn ich machte mir schon Sorgen um ihn und selbst, wenn ich nicht mit ihm über Kamijo reden konnte, vielleicht konnte ich ihn dann aufmuntern?

„Is’ lieb gemeint, aber… Boah, warte…“ Und wieder hustete er stark und putzte sich kurz kräftig die Nase. „Ich muss schlafen! Aber ich meld’ mich, wenn ich wieder fit bin, ja?“ Ich nickte und sagte: „Ist gut, mach das. Gute Besserung!“
 

Ich stieg einfach in die nächste U-Bahn und fuhr Richtung Stadtmitte. Wen konnte

ich denn noch anrufen? Es war nicht leicht jemanden zu finden, mit dem ich über das spezielle Thema Kamijo reden konnte. Und just in diesem Moment rief ausgerechnet Juka mich an! Ich sah kurz in den Himmel und dachte mir: „Gott, du hast manchmal komische Ideen...“
 

„Hey, Juka!“, grüßte ich ihn leicht seufzend und sah aus einem Fenster der U-Bahn, als diese losfuhr.

„Wow, du kennst mich noch? Ich wollte mal hören, ob du dich noch an mich erinnerst. Wir haben mal in einer Band gespielt. Wie hieß sie noch gleich?“, piesackte er mich gnadenlos mit seinem Sarkasmus, weshalb ich meine Augen halb schloss und kurz genervt grummelte.

„Ha-ha, unheimlich witzig! Ich weiß, dass ich mich länger nicht gemeldet habe. Aber nach den ganzen Auftritten und dem fertigen Album… Willst du fix noch mal eins aus dem Ärmel schütteln oder was?“, entgegnete ich und versuchte mich zu rechtfertigen. Wenn ich ehrlich war, war es aber Kamijo gewesen, der mich von meiner Band abgelenkt hatte. Das musste ich Juka ja aber nicht unbedingt unter die Nase reiben.
 

„Nein, eigentlich wollte ich nur hören, wie es dir geht.“, sagte er und ich atmete tief durch. Ich dachte kurz nach und überlegte, ob ich mich vielleicht mit ihm treffen sollte. Mit ihm konnte ich zwar nicht über Kamijo reden, aber er konnte mich immerhin ablenken.

Ablenken… Schlagartig musste ich an jene Nacht denken und schluckte schwer. Dann schüttelte ich den Kopf, um zur Normalität zurück zu kommen und seufzte:
 

„Bierlaunig geht es mir. Hast du welches im Kühlschrank?“

Keine zwei Sekunden später fragte ich mich selbst entsetzt: War das eine gute Idee? Besaufen mit Juka?

Kam mir vor wie ein Déja-Vu…

„Ist die Banane krumm? Natürlich habe ich Bier im Kühlschrank! Klingt nach einem Spontantreffen. Cool! Soll ich dich irgendwo abholen?“, fragte er und nun gab es wohl nur noch schwer ein Zurück.

„Ja, ich sitze sogar schon in der Bahn! Bin so in zwanzig Minuten beim Hauptbahnhof.“, sagte ich also und schluckte wieder leicht. Irgendwie wurde ich aufgeregt.
 

„Okay, dann hole ich dich gleich dort ab. Ich freue mich!“ Ein hörbares Lächeln lag auf Jukas Lippen. Nachdem wir aufgelegt hatten, ließ ich meinen Kopf gegen das Fenster fallen und atmete tief durch. Nach jener Nacht hatten wir uns nicht wieder privat alleine getroffen. Vielleicht machte mich das so nervös? Bei Auftritten oder Bandtreffen war unser Verhältnis ja ganz normal und gut. Ich hoffte einfach, dass es auch so sein würde, wenn wir uns allein trafen. Normal und gut. Vor allem normal!
 

Ich umarmte Juka freundschaftlich, als ich ihn beim Parkplatz neben dem Bahnhof fand und lief mit ihm zu seinem Auto.

Nicht viel später befanden wir uns in seiner Wohnung und er versorgte uns mit Bier und Knabbereien.

„Und? Erzähl schon: Wie läuft es mit dir und Kamijo?“, fragte er und tat ernsthaft interessiert. Ich atmete tief durch und lächelte Juka schief an.

„Das willst du nicht wirklich wissen, oder?“, murmelte ich und er zog seine Augenbrauen hoch.
 

„Tss, meinst du ernsthaft, dass ich dir noch immer hinterher trauer’? Blödsinn. Ich weiß, dass ihm dein Herz voll und ganz gehört. Und solang du glücklich bist, habe ich auch keinen Grund mich zu beklagen.“, sagte er, doch es fiel mir schwer ihm zu glauben. Ich wollte es aber versuchen und seufzte, bevor ich murmelte:

„Momentan… ist es irgendwie etwas seltsam zwischen uns. Kennst du zufällig Kisaki?“ Juka rollte mit den Augen, während er einen Schluck Bier aus der Flasche trank und mich dann ungläubig ansah.

„Wer kennt Kisaki nicht? Was ist mit ihm?“
 

Ich erzählte Juka also was am Abend zuvor geschehen war und wie der Tag weiter verlief. Nun redete ich also doch mit ihm über meine Probleme mit Kamijo und war irgendwie froh, dass ich jemanden fand, der mir zuhörte. Zum Schluss nickte er sogar verständnisvoll und sah mich nachdenklich an.

„Hm, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass da irgendwas ernst zu nehmendes zwischen Kisaki und Kamijo lief. Ehrlich nicht. Die kennen sich schon seit der Steinzeit und da lief nie irgendetwas zwischen denen.“, sagte er und beruhigte mich damit ein wenig.
 

„Du hast wohl Recht. Aber warum verschweigt er mich dann? Das verstehe ich noch nicht ganz. Schämt er sich für mich oder so?“, fragte ich verzweifelt und griff nach einem Keks. Juka boxte mir leicht gegen den Arm und entgegnete:

„Ach Hizaki, denk doch nicht gleich so negativ! Er hat keinen Grund sich für dich zu schämen. Das wird schon irgendeinen triftigen Grund haben. Aber das musst du Kamijo schon selber fragen!“ Ich nickte langsam und dachte über seine Worte nach, während ich meine halb leere Bierflasche anstarrte. Ich hörte ihn seufzen, bevor er mir durch die Haare wuschelte und mit einer einfühlsamen Ruhe in seiner Stimme fragte:
 

„Warum schaust du immer noch so traurig aus der Wäsche?“

Ich zögerte kurz, antwortete dann aber leise und verunsichert:

„Es… beunruhigt mich, dass ich… ihm gegenüber so wenig Vertrauen habe. Das fällt mir nicht zum ersten Mal auf. Das ist doch scheiße.“

Es herrschte kurz Stille in Jukas Wohnzimmer und ich fragte mich, was er in diesem Moment wohl dachte. Dann spürte ich plötzlich seinen Handrücken an meiner Wange und riss meine Augen auf. Er streichelte mir sanft über die Haut und ich gefror zu Eis. Hatte ich es doch gewusst…

„Na ja, gut ist es nicht, aber… ihr seid auch noch nicht allzu lange zusammen. Solche Momente gehören wohl dazu. Vielleicht müsst ihr mehr reden oder mehr Zeit miteinander verbringen, um euer Vertrauen zu entdecken und zu erkennen.“, säuselte er leise und ich schlug die Augen nieder, während ich etwas abwertend auflachte.
 

„Wir reden hier von Kamijo, Juka. Wir haben nicht viel Zeit miteinander und die Zeit, die wir zusammen verbringen, wird gerade durch solche Penner wie Kisaki stark strapaziert! Ach, verdammt… Was soll ich nur tun? Es fühlt sich alles so falsch an und ich bin total überfordert.“, seufzte ich und ließ mich einfach weiter von ihm streicheln. Irgendwann fühlte sich dies aber besonders falsch an, weshalb ich wie von der Tarantel gestochen einfach aufstand und nach meiner Jacke griff.

„Ich, also, sollte wohl wirklich mit ihm reden. Danke für dein offenes Ohr und… und… ja, danke halt.“, murmelte ich aufgeregt ohne Juka anzusehen. Er stand ebenfalls schnell auf und eilte mir zur Tür hinterher.

„Hey, warum so eilig plötzlich? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?“, fragte er sichtlich verwirrt und sah mich mit großen Augen an.
 

„N-nein! Ich… will nur schnell zu ihm.“, log ich und sah ihn immer wieder nur flüchtig an.

„Ich kann dich nach Hause bringen! Also… Nach Hause zu Kamijo.“, sagte er, doch ich schüttelte eifrig den Kopf.

„Nein, danke. Ich fahre lieber Bahn. Bis dann!“, verabschiedete ich mich schnell und eilte aus der Wohnung.

Ich fühlte mich schrecklich. Ich spürte, dass Juka noch immer sehr an mir hing und es tat mir weh, dass er sich dennoch so viel Mühe gab mir mit meinen Sorgen zu helfen.
 

Ich schlenderte die dunklen Straßen entlang zum Bahnhof und dachte weiter über alles nach.

Steigerte ich mich womöglich wieder in alles zu sehr hinein? Aber selbst wenn, ändern konnte ich es ja doch nicht mehr. Irgendetwas stimmte zwischen mir und Kamijo nicht, ganz unabhängig von dem, was so geschah. Diese Alkoholgeschichte und die Sache mit Kisaki deckten eigentlich nur tiefgründige Probleme zwischen mir und Kamijo auf. So schien es mir zumindest. Probleme, die sich die ganze Zeit hinter unserer harmonischen Fassade versteckt hatten. Ich seufzte schwer und sah kurz in den schwarzen Himmel beim Laufen.
 

Wie sollte das nur weiter gehen? Aber es war wohl wichtig, dass ich mir nicht allein den Kopf darüber zerbrach. Ich musste es gemeinsam mit Kamijo tun, wenn ich diese bedrückenden Sorgen beiseite schaffen wollte.

Als ich in der Bahn saß, klingelte mein Handy erneut und ich nahm den Anruf mit einem müden „Hallo?“ entgegen.

„Hizaki… Wo steckst du?“, fragte Kamijo und klang ähnlich erschöpft wie ich.

„In der Bahn. Ich bin gleich zuhause.“, antwortete ich seufzend und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. „Ist dein Freund weg?“, wollte ich dann etwas patzig wissen und schaute aus dem Fenster.
 

„Ja, er hat mir nur noch mein Auto geholt und ist dann nach Hause. Wie lange brauchst du noch? Ich vermisse dich.“ Eine Weile sagte ich dazu nichts und schloss meine Augen langsam.

„Wir müssen reden, Kamijo. Über so vieles.“, wisperte ich.

„Ich weiß.“, sagte er nur und wir schwiegen einen Moment.

„In zehn Minuten komme ich an und dann muss ich nur noch zum Haus laufen. Ich bin also bald da.“

„Ist gut. Bis gleich.“, verabschiedete er sich und ich wisperte ebenfalls: „Bis gleich.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  _pineapple_
2010-10-12T14:52:14+00:00 12.10.2010 16:52
Sorry, dass ich jetzt erst ein Kommi schreibe~
Hab gar nicht geahnt, dass es so schnell weiter geht o_o♥

Kaya ist und bleibt mal wieder der Hammer :D
Ich konnte ihm schon im ersten Teil nicht böse sein~♥

Kisaki ist mir überaus UNSYMPATHISCH ò-O...mhm vielleicht ändert sich das ja noch...


Das ist mal wieder alles so toll geschrieben!!
Ich bin wirklich gespannt, was die zwei nun bereden...
freu mich aufs weiter lesen ^w^

lg
Von: abgemeldet
2010-10-07T18:22:51+00:00 07.10.2010 20:22
ich mag die story... so spannend.
*weiterlesen will*
viel spaß noch beim schreiben und dass dir noch gute ideen kommen^^
LG
Von:  Astrido
2010-10-04T20:15:51+00:00 04.10.2010 22:15
uh. jetzt bin ich gespannt, was du mit den beiden machst.
kamijo is wirklich eine sehr undurchsichtige person.

wie stehts eigentlich mit dem musik machen bei hizaki? und kaya macht auch nich wirklich viel, oder? ^^
na, viel glück
lg

Von:  Asmodina
2010-10-03T15:17:24+00:00 03.10.2010 17:17
Das ist mehr als spannend...und ich werde den Gedanken nicht los...das Juka die Situation ausnutzt...Schreib schnell weiter^^
LG


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