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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

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Schützt die Königin

Noch am selben Abend zog Aramis zurück in den königlichen Palast. Die Königin begrüßte ihre Ankunft erfreut und sorgte dafür, dass sie genügend Zeit mit ihrer französischen Freundin verbringen konnte. Wieder einmal hatte der König sie verschmäht und aus seiner Gesellschaft ausgeschlossen. Trostlose Stunden zwischen prüden englischen Hofdamen, die ihr aufdiktiert waren, weil sie die Spitze des höfischen Adels repräsentierten, gehörten zu ihrem Alltag.

"Auf eine erfolgreiche Jagt!" Das Jagdhorn erschallte und die Jagdgesellschaft ritt los. An die siebenhundert Gäste waren versammelt. Man nahm an der Jagd des Königs teil. Als Ehrengäste war nicht nur ein auserlesener Teil des Hofadel versammelt, sondern auch viele ausländische Würdenträger. Sie saßen auf weichen Kissen, unter schützenden Baldachinen, umgeben vom satten Grün des Waldes. Champagner wurde gereicht, edelste Weine, Cognac, kalte und warme Speisen, zarte Süßgerichte. Zahllose Diener sorgten dafür, dass es den Gästen an nichts mangelte. Schweigend standen sie neben ihren Herrschaften und hatten nichts anderes als das leibliche Wohl der königlichen Gäste im Sinn. Knechte hatten schon im Morgengrauen Tiere zusammengetrieben und ein dichtes Netz aus Jagdhunden und Jägern um den Ort der Jagt gezogen. Es würde ein leichtes sein, dass Wild aufzuspüren und zu erlegen. Mit Jagdgewehr, Pfeil und Bogen bewaffnet, zerstreuten sich die Adligen im Wald und schossen auf alles, was nicht niet- und nagelfest war.

Um ihre Rolle glaubhaft zu verkörpern, hielt sich Aramis im Schatten der Königin. Ihre Majestät saß unter einem weißen Baldachin und naschte Weintrauben. Ein Page fächerte ihr in einem fort, mit einem riesigen Fächer aus langen Straußenfedern, die schwüle Luft zu. Ihre Hofdamen hatten sich um sie gescharrt und beobachten den Beginn der Jagt unter dem schützenden Leinendach aus. Ihr unbeschwertes Geplauder erfüllte die Luft.

"Warum habt Ihr mir nicht erzählt, dass Ihr verlobt seid?" Aramis beugte sich näher, um die Frage der Königin im allgemeinen Lärm besser verstehen zu können. Die unbiegsamen Stäbe ihres Korsetts drückten in den Seiten. Sie zuckte unbestimmt die Schultern. Die junge Hofdame zu ihrer Rechten kicherte.

"Kein Wunder, dass Ihr Lord Corday abgewiesen habt."

Aramis konnte ihre Überraschung nicht verbergen. "Aber woher ..."

"Comtesse", wandte eine ältere Matrone, mit einem Ungestüm von Spitzenkragen um den faltigen Hals ein, "dass weiß doch längst der ganze Hof, dass Euer Verlobter just in dem Moment auftauchte, wo Lord Corday Euch um Eure Hand bitten wollte." Erneutes kichern.

"Wahrscheinlich plagte den armen Lord das Mitleid, weil man sie ermorden wollte", flüsterte es in Aramis Rücken. "Eine schwer Fehler, bei ihrer ungewissen Herkunft. Wer weiß, ob die ganze Gesichte mit dem Gift überhaupt stimmt." Es gluckste leise.

"Ja, wenn, aber weshalb sonst?" Beide Intriganten verstummten je, als sie merkten, dass ihre Stimmen einen der seltenen Augenblicke von Stille gefüllte hatten, bei der jeder sie hören konnte. Sie lachten nervös und gingen rasch davon, die Köpfe verschwörerisch zusammengesteckt.

"Es kommen einem viele Gerüchte zu Ohren", sagte eine ältere Hofdame gesetzt. "Manche stimmen, manche nicht." Ihr Blick fiel beredend auf Aramis. Die Fächer der anderen Damen wippten aufgeregt auf und ab, dass sie einen wahren Sturm erzeugten.

"Schade" sagte die Königin leise, mit zarter Stimme, ohne den letzten Bemerkungen Beachtung zu schenken. "Wenn Ihr Lord Corday's Antrag angenommen hättet, dann hättet Ihr einen Grund in England zu bleiben." Bedauernd tätschelte die Königin Aramis Hand. "Wie sagtet Ihr, ist sein Name?"

"Graf Olivier de La Fère de Bragelonne", erwiderte Aramis mürrisch.

"De la Fére?" Die Königin zog nachdenklich die Stirn kraus. "Ich glaube seine Mutter diente meiner Mutter als Hofdame. Jedenfalls war es eine de la Fére. Er ist schon ein Bild von einem Mann." Widerstrebend gab ihr Aramis Recht und fing Athos Blick ein, der gerade in diesem Moment sein Pferd an den Damen vorbeiführte. Er hatte sich eine andere Garderobe zugelegt, mit edleren Stoffen und Schnitten. Seine angeborene Eleganz und Aristokratie vervollständigten das Bild. Finster warf sie seinen wortlosen Gruß zurück. Die Augen senken würde sie nicht.

"Aber glücklich seid Ihr nicht?" Aramis zuckte zusammen. Oh Gott, sah man ihr das wirklich an? Henrietta seufzte und strich eine braune Haarsträhne zurück. Die Haare waren im Nacken zu einem kunstvollen Knoten geschlungen, durch das ein Band mit unzähligen Perlen ging. Ihre Augen folgten dem König, der sich in der unterwürfigen Aufmerksamkeit seines Gefolges sonnte. Was nutze es mit einem jungen, gesunden, attraktiven Mann verheiratet zu sein, der zudem den Titel des Herrschers eines der mächtigsten Länder beanspruchte, wenn sie diesem gleichgültig war. Außer ihrer stummen Rolle an seiner Seite bei öffentlichen Auftritten, lag Henriettas Stellenwert hinter dem der nächstbesten Mätresse. Beide Frauen seufzten schwer.
 

Athos nahm seine Umgebung in einem merkwürdig entrückten Zustand wahr. Die ranghöchsten Adligen flankierten ihren König. Auch Charles war unter ihnen. Karl I. lachte laut auf. Die Begeisterung über die beginnende Jagt leuchtet in seinen Augen. Höflinge umdrängten ihn, schmeichelnd und hofierend. Athos Pferd sträubte sich wild unter dem festen Druck seiner Schenkel, weil es die allgemeine Aufregung witterte. Die Jagdhunde kläfften wild, die Witterung ihrer Beute in der Schnauze. In der selben Rangordnung hatten sich die Hofdamen um das königliche Gegenstück geschart. Die zierliche Königin wirkte verloren mitten unter ihnen. Er sah ihren sehnsuchtsvollen Blick in Richtung König. Umsonst hoffte sie auf die Aufmerksamkeit von Karl I. Nicht die Liebe band ihn an sie, sondern das Bündnis zweier Länder. In ihrem Rücken stand Aramis. Sie war aufgrund ihrer Größe und der stolzen Haltung nicht zu übersehen. Jeder Mensch hatte eine Maske auf. Änderte sich sein Umfeld oder seine Einstellungen und Ziele, wechselte er diese. Niemand konnte von einem Mitmenschen behaupten ihn wirklich so zu sehen, wie er war. Man lebte nicht miteinander, sondern nebeneinander. Allerdings den Unterschied zwischen Mann und Frau nicht zu erkennen, war in seinen Augen schon erbarmungswürdig. Athos war nicht weltfremd. Er wusste, dass es mit Aramis genügend Frauen gab, die eine andere Identität angenommen hatten. Unter Umständen gab es für diese Frauen gar keine andere Wahl und er billigte ihnen das auch gerne zu. Er hatte nur nicht damit gerechnet, selbst einer Täuschung zu erliegen. An diesem Punkt begann seine Weltanschauung zu bröckeln. Ob Aramis aus Verzweiflung zu ihrer Verkleidung gegriffen hatte oder einfach so zu wenig Weiblichkeit in ihrem Wesen war, dass es einer Flucht nach vorn glich, wollte er gar nicht wissen. Er wünschte nur, er hätte es nie erfahren. Es würde wie immer sein. Aramis wäre noch sein Freund und weiterhin einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben. Der Betrug war noch immer da, aber nicht das Wissen. Nichts würde mehr so sein, wie all die Jahre vorher. Er wusste noch wie es war, als Aramis ihm das erste Mal auffiel. Er hatte den scheinbaren jungen Mann, der gerade den Kinderschuhen entwachsen schien, für blasiert und versnobt gehalten. Später stellte er fest, dass es einfach nur Schüchternheit war. Abgesehen von der äußerlichen Zartheit und den unglaublich femininen Gesichtszügen, faszinierte ihn die unglaubliche Traurigkeit, die Aramis ständig umgab. Erst im Laufe ihrer Freundschaft und gemeinsamen Arbeit legte sich langsam der Schwermut. Es war ein Traum und es würde einer bleiben, denn alles in ihm sträubte sich, in der jungen Frau wieder den Musketier zu sehen. Aramis war wie zwei wechselnde Protagonisten im selben Stück. Als wäre die Schablone eines anderen Menschen vor sie gezogen worden. Die Geräusche und die Menschen um ihn herum, wurden für den Moment unbedeutend, während er die junge Frau in den seltsam anmutenden Kleidern beobachtete. Das lange Haar schimmerte in der Sonne honigblond. Sie wirkte mit ihrem hochgeschlossenen Kleid falsch zwischen der leichten Sommerkleidung ringsum. Es fiel fließend herab, gab aber wenig von ihren Körperformen darunter zu erkennen. Verfügte sie überhaupt über weibliche Rundungen? Er wusste es nicht. Dennoch war sie nicht unattraktiv. Aramis strahlte etwas geheimnisvolles, stolzes, Unnahbares aus. Jetzt hatte sie seine Blicke bemerkt und sah zurück. Das leuchtende Blau ihrer Iris verfinsterte sich und wurde dunkel. Seltsamerweise ließen die Augen eine Leere in ihm zurück. Aramis gab es nicht mehr. Entweder es entstand etwas Neues oder ihre Wege trennten sich.

Einer der Knechte kam auf die Lichtung und beugte vor dem König die Knie. "Eure Majestät, wir haben einen mächtigen Eber eingekeilt. Das Tier ist von ungewöhnlicher Größe und sehr wild. Es gebärdet sich wie tollwütig", berichtete er atemlos. Er hatte den Eber gesehen und mit rechten Respekt vor ihm. Das Tier schien von einem bösen Geist besessen zu sein. Dunkle Vorahnungen erfüllten ihn.

Karl I. klatschte erfreut in die Hände und drehte sich zu seinem Gefolge um. Aberglaube war etwas für den niederen Pöbel. "Dieses Tier hat uns Gott gesandt, um die Geschicklichkeit und den Mut der Jäger zu erproben." Er zog einen breiten Diamantring von seinem Mittelfinger und hob ihn in die Luft. "Eine Trophäe für den Mann, der ihn erlegt!" Es blitze begehrlich in den Augen seines Hofstaates. "Meine Herren bestimmt die Dame Eures Herzens und holt Euch von ihr Euren Glücksbringer für die Jagt!" Sein Bienenstab schwärmte aus.

Athos zügelte sein Pferd und blickte auf Aramis nieder.

"Renée."

"Olivier", flötete Aramis zurück. Die umstehenden Damen seufzten hingerissen und steckten die Köpfe zusammen. Ihre Majestät, die Königin klimperte verzückt mit den Augenlidern.

"Ein Pfand Eurer Liebe, mein Schatz", sagte er salbungsvoll und beugte sich mit einem verschwörerischen Zwinkern zu ihr runter. An ihrer Halslinie zuckte ein Muskel, der Rest ihrer Gesichtszüge blieb unter Kontrolle. Aramis reichte ihm ein Taschentuch. "Schmollst du noch immer, weil ich gewonnen habe?", flüsterte er in ihr Ohr, als er den Pfand entgegennahm. Der leichte Duft nach Blumen, der ihren Haaren entströmte, stieg ihm in die Nase. "Wünsche mir Glück!"

"Ich wünsche dir, dass du vom Pferd fällst und im nächsten Graben landest", erwiderte sie, zwischen zusammengepressten Lippen.

"Oh nicht doch!", tadelte er sanft und sein Blick glitt über die glatte Haut in ihrem Gesicht. Hier wäre nie und nimmer auch nur ein einziges Barthaar gesprossen. "Du schmollst noch! Denk daran, ich reite nur für dich und das mit einem Pfand deiner Zuneigung!"

"Darauf gespuckt!", murmelte sie. "Ich sag dir gleich, wo du es dir hinstecken kannst!"

Er grinste breit und schüttelte im gespielten bedauernd den Kopf. "Oh, Aramis, so redet keine Dame!" Sie trat zurück und schenkte ihm zum Abschied ein gestelltes Lächeln.
 

Der Eber rannte durch das Dickicht. Er war riesig, eine Ungröße für seine Art und der uneingeschränkte Herrscher in diesem Wald. Selten war ein Eber von dieser Größe gesichtet worden. Sein Leib stämmig und schwer, bestehend aus Knochen, Muskeln und Sehnen, bedeckt von struppigen Borsten. Riesige Hauer standen aus seinem Maul, von dem Speichel tropfte. Seine Augen glühten wild. Beunruhigende Intelligenz für ein Tier stand in ihnen. Ihn zu erlegen forderte die Meister der Disziplin heraus. Sie hatten ihn angeschossen. Der brennende Schmerz machte ihn rasend, wild und unberechenbar. Seine Instinkte sagten ihm, dass er seinen Häschern entkommen musste. Die Sinne waren einzig und allein auf das Überleben ausgerichtet. Er schlug Hacken, lockte seine Jäger, griff sie an, verführte sie zu tollkühnen Vorstößen und entkam dann doch wieder. Die Streifschüsse schienen ihn nichts anhaben zu können, nur noch wilder zu machen. Zwei Jagdhunde hatte er schon getötet, zwei weitere waren derart schwer verletzt, dass nur noch der Gnadenschuss ihres Herrn sie von den Qualen erlösen konnte. Es war längst kein Spiel mehr.

Endlich hatten sie ihn eingekeilt. Der Ring aus Reitern und Hunden zog sich enger. Einige der Jagdhunde winselten leisen. Sie spürten die natürliche Überlegenheit ihrer Beute. Vorsichtig näherte sich der König. Das Tier war zu wendig. Er musste näher heran, wenn sein Schuss treffen sollte. Die anderen Höflinge wichen zurück. Niemand wagte es dem König den Todesschuss zu stehlen. Das nachtschwarze Ross des Königs scheute. Nervös warf es den Kopf in den Nacken. Sein königlicher Reiter benötigte seine ganze Aufmerksamkeit, um sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Pferd und Reiter kamen langsam näher. Die Augen des Ebers waren trüb, er schien aufgegeben zu haben. Leicht scharrte es mit der gespaltenen Pfote und senkte das Maul. Weiter, immer weiter tastete sich der König vorwärts. Mit dem Druck seiner Oberschenkel lenkte er sein Pferd und hob die Muskete auf Anschlag. Weiter und weiter, näher und näher. Bedächtig spannte er den Abzug zurück. Plötzlich hob der Eber den Kopf und raste los. Direkt auf den verblüfften König zu, der vergaß sich zu regen und abzudrücken. Sein Pferd scheute, schlug aus und warf den hilflosen König im Sattel wild hin und her. Der König fiel. Seine Höflinge wichen zurück. Was wenn die Hufe eines der anderen Pferde seine königliche Majestät traf? Der Eber schoss blitzschnell durch die entstandene Lücke, die Hunde kläfften wild und brachen blindlings zur entgegengesetzten Richtung aus, während ihre Beute im Dickicht verschwand.
 

Mit angelegten Ohren, den Körper angespannt und zum Sprung bereit lauerte er im hohen Gras. Es gab für ihn kein Denken, nur Instinkte und animalisches Handeln. Sein Leben war bestimmt von der Suche nach Nahrung und Wasser. Er stillte seinen Geschlechtstrieb, wenn die Natur ihn dazu rief und legte sich schlafen, wenn die Müdigkeit seine Glieder übermannte. Jetzt wollte er überleben. Die unzähligen Streifschüsse hatten ihn nicht geschwächt, sondern jähzornig gemacht. Nicht weit von ihm entfernt, lief eine Gruppe von Menschen. Sie bewegten sich langsam über die Lichtung, ohne von den dunklen Augen zu ahnen, die im Dickicht lauerten, sie beobachteten. Wesen, die mit spitzen Dingen schossen, sich mit ihrem aufrechten Gang und den langen Gliedern vorwärtsbewegten.

Der Überfall erfolgte rasch und lautlos. Der Eber durchbrach das Dickicht. Die Erde bebte, als der gewaltige Körper sich in Bewegung setzte, das Gras flog davon.

Ihre Majestät die Königin wollte schreien, doch ihre Kehle brachte nur ein dünnes Krächzen zustanden. Da stand sie nun, - wortlos. Sie sah zwei Zentner animalischer Kraft auf sie zurasen, ohne sich aus ihrer Erstarrung lösen zu können. So stand sie wort- und bewegungslos. Zum Ausdruck ihrer Position und Stellung als Königin von England trug Henrietta ein prächtiges Gewandt aus schimmernden Atlas mit unzähligen Silberfäden. Um ihren Teint zu schützen, hatte man ihre ein Ungestüm von Hut übergeholfen, unter dessen breiter Krempe ihr Gesicht und ihre Begeisterung im Schatten verschwanden. Henrietta sah entzückend aus, ohne Frage, der Eber allerdings, dessen Agieren lediglich auf tierischen Instinkten ausgerichtet war, sah darin reinste Provokation und griff an. So sah Henrietta, - wort- und bewegungslos, silberfarben gekleidet und hutgekrönt, der fleischgewordenen Naturgewalt entgegen.

Ihre Hofdamen schrieen grell auf und suchten kopflos die Flucht. Hypnotisiert starrte sie in die dunklen Augen und auf den bebenden Leib. Das breite Maul mit den riesigen, messerscharfen Eckzähnen versetzte sie in heilloses Schrecken. Jetzt war er heran. Henrietta fühlte einen Stoß, der sie zur Seite warf. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Eber die französische Comtesse seitlich traf.

Auch Aramis hatte es gesehen. Der Eber auf der einen Seite der Lichtung, wildgeworden, rasend und von gigantischer Größe. Auf der anderen Seite die Königin, zart, verängstigt, wie festgefroren. Ungleiche Duellpartner ohne Regeln und Sekundanten. Dann hatte sich das Ungestüm in Bewegung gesetzt. Auch hier hatte die Natur nicht gespart und den riesigen Leib mit einer eher untypischen Behändigkeit versehen. Sie hatte rein mechanisch gehandelt und die erstarrte Königin beiseite gestoßen. Die Zeit verlangsamte sich. Die erstarrte Königin mit den weit aufgerissenen Augen kippte nach Rechts, ihr Hut glitt langsam zu Boden, Speichel tropfte aus dem Maul des Tieres, Blut war an seiner Flanke, wild flackerten die Augen. Dann der Zusammenprall. Aramis fühlte ihre Rippen brechen, alle Luft weich aus ihren Lungen, sie wurde von den Füßen gerissen und segelte durch die Luft. Der Aufprall erfolgte um so schmerzhafter. Benommen blieb sie im Gras liegen. Sie glaubte ersticken zu müssen. Würgend rang sie nach Luft und verschluckte sich an ihrem eigenen Blutspeichel. Ihr ganzer Körper schien zerbrochen zu sein. Henriettas spitzer Schrei riss sie aus der Ohnmacht. Wieder starrte das Tier mit scharrender Hufe und blutunterlaufenden Augen die Königin an. Ihr silbernes Kleid, schien das Äquivalent zum roten Tuch zu sein. Die zerbrechliche Gestalt ihrer Majestät der Matador. Aramis stöhnte auf, rang mehrmals keuchend nach Luft und stemmte sich mühsam auf Händen und Knien auf. Ihr Körper befand sich noch in einem Stück. Was sie in erster Linie ihrem Korsett zu verdanken hatte. Wenn etwas gebrochen oder defekt war, so hielten es die Fischbeinstäbe noch eine Weile zusammen. Das Untier starrte die Königin an, die Königin starrte den Eber an. Aufgabe und wohltuende Ohnmacht gab es nicht. Eine Königin galt es zu beschützen. Als Musketier auf royalistische Treue bis zum Fanatismus gedrillt, kroch Aramis auf allen vieren näher. Der verlorene königliche Hut lag vor ihr im Gras. Sie packte den Hut, machte einen Satz nach vorn und warf ihn über die Augen der Bestie. Der Eber schlug aus. Wild bäumte er sich auf. Seine Eckzähne rissen den dünnen Stoff und die darbunterliegende Haut ihres rechten Arms auf. Wieder stieß er sie von sich und wieder landete sie atem- und besinnungslos im Gras. Er hatte den Hut abgeschüttelt und stürmte, gesenkten Hauptes auf sie zu. Aramis blieb kaum genügend Zeit, den Dolch aus dem, an ihrer Wade befestigten, Halfter zu ziehen, da war auch schon die Bestie über ihr. Er knurrte und schnüffelte, nagelte ihren Oberkörper mit dem Gewicht seiner Vorderpfoten auf dem Boden fest. Geifer tropfte in Aramis Gesicht. Sie glaubte vor Ekel würgen zu müssen. Blutrünstig senkte sich die Schnauze, mit den spitzen Hauern. Sie konnte seinen fauligen Atem riechen, warme Ausdünstungen nach verfaultem Fleisch und faulen Eiern schlugen ihr in das Gesicht. Schützend hob sie den rechten Arm, um sich vor den messerscharfen Zähnen zu schützen. Mit der anderen Hand stach sie zu. Die spitze Klinge fand die Kehle es Unwesen, schnitt sich durch Pelz, Haut, Sehnen und Fleisch. Dunkles Blut ergoss sich über sie, warm und klebrig. Der Leib des Ebers zuckte, dann brach er tot zusammen. Mühsam stemmte sie sich gegen das schwere Gewicht des Ebers, aber sie hatte nicht genügend Kraft den leblosen, stinkenden, noch warmen Körper runterzuschieben. Sie glaubte jeden Moment ein Knacken zuhören, wenn ihre Knochen nachgaben und ihre Mitte entgültig auseinanderbrach. Betäubt blieb sie liegen, röchelnd und nach Luft ringend. Warum befreite sie niemand? Sah sie dort Licht, ein dunkler Pfad, der zu einer hellen Tür führte? Nein, nur die Dunkelheit, die sie umfing.
 

Betroffene Stille hatte sich über die Lichtung gelegt. Der Knecht bekreuzigte sich. Seine düstere Vorsehung hatte sich als wahr erwiesen. Man erzürnte Gott nicht, mit der Überheblichkeit über Leben und Tot herrschen zu wollen.

Vier Männer hoben den toten Eber von der regungslosen Frau und trugen ihn fort. Blut durchtränkte ihr Kleid. Ob es ihr eigenes oder das des Ebers war, vermochte niemand zu sagen. Sie rührte sich nicht? Man wagte kaum sie anzufassen. Wie bei einer Totenwache hob man sie hoch und trug sie davon. Einige der Männer dachte an verletzen Stolz, weil eine Frau die Bestie besiegt hatte. Andere empfanden Scham darüber, dass sie zu spät kamen. Betretenes Schweigen vermischte sich mit wortlosem Ekel und unverhüllter Verachtung. Was galt die Heldentat zur Rettung der Königin, wenn diese an ein barbarisches Massaker erinnerte. Menschen, bei denen Rhetorik und kalkulierte Handlung in der Wertung höher standen, als Kinn und Rückrat, erwarteten von einer Adligen mehr Stil, auch wenn sie ihr Leben gab. Leider entsprach das Gemetzel genau Aramis Stil, aber das wusste nur Lord Corday, dem sie zu oft in den zu falschen Situationen begegnet war. Man war großzügig bereit ihr zu verzeihen. Immerhin hatte sie der Königin das Leben gerettet und für genügend Gesprächsstoff in den kommenden Wochen gesorgt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (11)
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Von:  blubbie
2011-06-26T18:17:18+00:00 26.06.2011 20:17
WAAAAAAAAAS???????????????????Die sind sauer auf Aramis? Sie ist eine Heldin! Ich könnt.... Jetzt hoffe ich doch schwer, dass sich wenigstens Athos an den Kopf greift...also Angst um sie bekommt. Aramis sollte geehrt werden! Aber egal was sie macht, irgendwie ist alles falsch oder? Schottland ist so ein schönes Land...sobald sie gesund ist, sollte sie abhauen. Ganz ehrlich.
Oh...ich liebe übrigens die Szene wo Athos nach einem Pfand ihrer Liebe fragt und sie ihm erzählt wo er es sich hinstecken kann...^^
Von: abgemeldet
2004-11-08T22:06:34+00:00 08.11.2004 23:06
Jetzt hab ich mich auch noch vertippt (siehe unten... XD) Das ist zu viel! Es ist bereits schlimmer, als ich dachte... :o)
Von: abgemeldet
2004-11-08T22:05:14+00:00 08.11.2004 23:05
Diese Story entwickelt sich langsam zu einer Droge, von der man nicht genug bekommen kann... Es finde bald keinerlei Worte mehr dafür :o) Du sprengst meinen Wortschatz, Fasti! :o)
LG Krisi
Von:  amacie
2004-11-08T13:27:42+00:00 08.11.2004 14:27
Ja, also dieses Kapitel ist nun wirklich sehr gut gelungen. Wie sie sich da nur wieder herauswinden will *eigene Theorien bereits verfasse* *unschuldig pfeif*
Nun mir geht es natürlich auch nicht besser wie allen anderen (naja vielleicht ein bißchen besser^^) ich bin natürlich auch sehr gespannt darauf wie es denn nun weiter geht.

Ein Kompliment noch, deine FF ist so schön ohne Fehler, Respekt :P
Von:  Tach
2004-11-05T21:35:57+00:00 05.11.2004 22:35
Diesmal isses wirklich so weit: Ich weiß nich was ich dazu sagen soll...Großartig =]
Von: abgemeldet
2004-11-05T19:01:04+00:00 05.11.2004 20:01
Ein neues wunderschönes Kapitel!

Ich hoffe, es gibt bald mehr Lesefutter! *freu*
Von:  Kajuschka
2004-11-05T13:55:46+00:00 05.11.2004 14:55
*Heul* Unsere arme Aramis! Und sadistisch, wie du bist hörst du natürlich an der spannendsten Stelle auf. -_- Bitte schreib bald am neuen Kapitel, ich will unbedingt wissen, wie es weiter geht.
Von:  venus007
2004-11-05T10:49:56+00:00 05.11.2004 11:49
Ich hab auch gedacht, Arthos würde Aramis vorher retten. aber egal.
ich liebe die Story. die Idee, etc.

schreib schnell weiter, denn immer wenn ich seh, dass du ein neues chap on hast, spring ich im Dreieck!!! Echt wahr.

venus007
Von: abgemeldet
2004-11-04T21:02:25+00:00 04.11.2004 22:02
Wow! Ayumi Kishu hat völlig recht: Du übertriffst dich bei jedem neuen Kapitel! Ich bin schon total gespannt, wie es weitergehen wird....bitte bitte schnell ein neues Kapitel (ich bin schon total süchtig!!! Bussi

BTW: Meinen Tag hast du auch gerettet: Nach einer endlosen Präsentation, für die ich Wochen brauchte, mich vorzubereiten, endlose Zahnschmerzen und einem schmerzhaften Zahnarztbesuch war dein Kapitel heute das Licht am Ende des Tunnels!!!
Von:  hamfre
2004-11-04T18:54:55+00:00 04.11.2004 19:54
voll krass!!! und die idioten sind auch noch eingeschnappt! wegen eigener unfähigkeit!!!!mal sehn was jetzt kömmt! ob wenigstens henrietta sie verteidigt!??? und vor allem was athos nun vorhat!!!???*gg*
cu


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