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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

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Auf dem Schlachtfeld

Athos fühlte das Blut aus seinem Kopf weichen. Er musste sich räusperte, bevor er überhaupt sprechen konnte. "Was trieb sie zu dieser Wahnsinnstat?", hauchte er tonlos und erntete nur fassungsloses Kopfschütteln der anderen. Der Gesichtsausdruck des Kapitäns war beredend genug, wenn er sich auch einer Antwort enthielt. "Aramis könnte überall sein und sie hat einen Vorsprung von über einem Monat." Lebte sie überhaupt noch? Keiner sah ihm in die Augen, weil es alle dachten, aber keine auszusprechen wagte. "Vielleicht ist sie längst nach Hause zurückgekehrt?", wisperte Sophie und der Saum ihres Kleides verschwamm vor den Tränen in ihren Augen.

Der Kapitän war blass geworden. "Welches Zuhause? Das ihres Vormunds?", fragte er bitter. "Das gibt es schon längst nicht mehr für sie. Ihr ist alles zuzutrauen. Auch die Narrheit in den Krieg zu ziehen. Verdammt, sie ist eine Frau." Sie zuckten zusammen, antworteten aber nicht. An dieser Tatsache gab es nichts zu rütteln.

"Geht!" D'Treville seufzte schwer und fuhr sich mit der Hand durch das graumelierte Haar. Er nahm die Schreibfeder, brachte einige Zeilen zu Papier und versiegelte das Dokument mit heißem Wachs. "Sucht alle Fronten und Militärlager ab. Hiermit ...", Er reichte Athos das Schreibe, "... bekommt ihr die Vollmacht vom zuständigen Generalleutnant, alle Stützpunkte und relevante Plätze einzusehen, an denen sich Aramis befinden könnte. Trennt Euch und sucht sie so schnell wie möglich, in den verschiedenen Militärlagern! Dann schleift sie hierher zurück, bis sie vor diesem Schreibtisch wieder steht!"

Kaum hatte sich die Tür hinter D'Treville geschlossen, da schwanden seine Kräfte. Der Kapitän sackte in seinem Stuhl zusammen. Ein müder Ausdruck lag auf den faltenumrandeten Augen. Schwermut legte sich auf sein Gemüt wie draußen die Dämmerung des dahinschwindenden Tages. Er hatte sich dem Mädchen damals angenommen. Er war für sie verantwortlich. Wenn ihr irgendetwas zustieß ...
 

Es war ein wunderschöner Oktobertag. Die Sonne stand wolkenfrei am blauen Firmament, in dessen Weite sich ein Schwarm Vögel erhoben und in Richtung Süden flog.

Aramis rannte gebückt vorwärts. Um sie herum bebte die Erde und geriet in Bewegung. Nur nicht stillstehen, nur nicht gesehen werden, nur nicht in Reichweiter der englischen Kanonen geraten. Laufen, stolpern, zu Boden werfen, wieder Laufen, straucheln, im Dreck liegen bleiben. In der Ferne erhob sich die Kirchturmspitze eines kleinen Dorfes, kaum mehr als ein paar marode Hütten an einer Straße. Um sie herum, Verwüstung und Kanoneneinschläge. Vorahnung, blindes Handeln und Reaktionsfähigkeiten waren alles. Liegen und sich flach am Boden pressen, wenn wieder ein tödliches Geschoss einschlug und Sand, Stein, Baum, Mensch und Tier durch die Luft wirbelte. Bald lag eine dicke Dreckschicht auf Aramis Kleidung, wie eine zweite Schicht Stoff. Es krachte und wieder schlug eine der schweren Kanonenkugeln ein. Der Knall verstärkte das ständige Surren in ihren Ohren. Wie durch Watte brach der Krach des

erschütternden Fleckchens Erde über sie hinein. Aramis lag flach am Boden, wollte eins werden mit ihr, barg den Kopf in unter den Armen und flehte alle Schutzheiligen an, an welche sie sich aus ihrer Kindheit erinnern konnte, ihr Beistand zu leisten. Sie kamen alle. Aramis überlebte und strauchelte weiter, durch das Schlachtfeld eines sinnlosen Religionskrieges.

Als sie endlich Oberst Holmes Truppe erreichte, befand sich diese im Kampf mit den Engländern. Die Soldaten waren in einem heillosen Durcheinander. Überall auf dem Schlachtfeld flammten Nahkämpfe auf, aber sie waren eher einseitiger Natur. England rückte vor, ihre Verteidiger setzen den französischen Angreifern nach und waren dabei die Oberhand zu gewinnen. Der Befehl zum Rückzug kam zu spät. Die französischen Soldaten starben. Schwerter fuhren durch Haut, Sehnen und Knochen. Blut floss, Schmerzschreie erfüllten die Luft, ein ersticktes Röcheln vor dem letzten Lebenshauch, gebrochene Augen, erschlaffte Körper, Wunden, das Wimmern von Verletzten. Ein Bild des Grauens.

Den Oberst der verzweifelt kämpfenden Truppe fand Aramis schließlich verletzt am Boden liegend.

"Oberst Holmes?" Aramis kniete sich neben ihn nieder. Holmes stöhnte gequält und sah sie mit schmerztränenden Augen an. Ein Säbel war seitlich durch die Uniform in die Haut gefahren. Blut durchtränkte den Stoff.

"Was?", stöhnte er gepresst.

"Die Engländer kreisen uns von Osten her ein. Oberst Jaque hat den Rückzug befohlen." Aramis schrie gegen den Lärm und die kommende Ohnmacht des Obersts an.

"Zu spät! Sie sind schon da." Holmes sackte auf den Boden zurück und richtete den Blick starr gegen den Himmel.

"Sir?"

"Es ist zu spät", proklamierte er dumpf, bemächtigt von beängstigender Gleichgültigkeit und presste die Hand in die Seite.

"Ich helfe Euch, Sir!"

"Ich brauche deine Hilfe nicht, Soldat! Lass mich hier sterben." Widerwillig, mit bösem Blick stieß Holmes sie von sich und fauchte sie böse an. "Das ist ein Befehl!"

Jeder Soldat hätte die Order seines Vorgesetzten bedingungslos befolgt, aber Aramis war zu sehr Frau, um das Leben zu verachten, auch wenn es nur ein Menschenleben zu retten galt, in diesem Wahnsinn aus Krieg, Tot und Leid. Seine Einwände missachten, rückte Aramis ihm energischer zu Leibe. Erschrocken ließ sie sich auf die Hacken zurückfallen und starrte den Oberst an.

"Sir?"

"Lass mich hier sterben!" Blut tropfte Holmes von den Lippen.

"Ich kann nicht", erwiderte Aramis sanft und riss ihr Hemd unter der Uniform entzwei. Holmes sah sie mit gebrochenem Willen an.

"Ich bin der Oberst von 150 wackeren Soldaten."

"Ich weiß." Vorsichtig verband Aramis die Wunde.

"Ich habe es von einem einfachen Soldaten zum Offizier geschafft."

"Ich weiß". Losgelöst fast heiter, lächelte sie Holmes an und wischte das Blut vom Mundwinkel ab.

"Er ging damals zur Armee und wollte mich nach seiner Rückkehr heiraten. Aber die Zeit verging und er kehrt nicht mehr zurück, so suchte ich ihn." Holmes Stimme war nur noch ein tonloses Flüstern. "Sie werden mich

verurteilen."

Aramis korrigierte nicht die düstere Prophezeiung. "Ihr werdet Leben, Oberst Holmes", fügte sie hinzu.

Tränen liefen über Holmes Gesicht. "Ich bin kein Oberst. Ich bin eine Frau."

Aramis schüttelte den Kopf. "Ihr seid der Oberst der 24. Einheit und gehört im Lazarett anständig versorgt, wie es sich für einen Befehlshaber der französischen Armee gehört." Holmes riss die Augen auf und sah sie verstört an. Woher das ungewohnte, fremde Verständnis von einem Mann? Sie war zu verstört und in Todesangst, um in den sanften Zügen des Soldaten eine Frau zu sehen. Suchend sah Aramis sich um und erblickte ein reiterloses Pferd. Sie wusste, dass es ein Pferd war, denn es hatte vier Hufe, einen Kopf mit Mähne und einen Schweif. Dazwischen lag schäbig wirkendes Fell. Aus einem anderen Blickwinkel gesehen, war es eine halbe Tonne Knochen von Rosshaar zusammengehalten. Sie nahm das Pferd am Halfter und führte es zu der verletzten Frau.

Der antrainierten Musketierautorität sei dank, winkte Aramis einen der Soldaten energisch zu sich heran und befahl diesen, seinen Oberst in Sicherheit zu bringen. Gemeinsam bugsierten Oberst Holmes auf das magere Reittier, dann sah Aramis sich um. Es tobte noch immer das Inferno - lautstark und totobringend. Verbittert nahm Aramis zur Kenntnis, dass es nicht den geringsten Sinn von Fairness bei einem Kampf um ein Schlachtfeld gab. Von heroischen Kampfgefühl und Patriotismus schien sie weiter entfernt. Wie sollte man angesichts dieses sinnlosen Abschlachtens, dieser Brutalität und dieser schier endlosen Folge von Tot und Zerstörung an das Gute und ethisch Richtige einer Sache glauben? Nie hätte sie sich die Albträume eines Krieges auszumalen gewagt. Und dennoch ...

"Für Oberst Holmes", schrie sie, riss einen der Angreifer von seinem Pferd, um sich selbst hinaufzuschwingen und ritt in das Getümmel wie ein Besenkter, um sie herum qualvolles Sterben auf beiden Seiten. Aramis zog ihr Schwert. Erde und Steine wirbelte unter den Hufen des galoppierenden Pferdes auf. Ein paar Soldaten hoben die Köpfe, zwei von ihnen kostete es das Leben.
 

Was dem König sein Hofstaat war, war der Armee sein militantes Beiwerk. Ein unsichtbares Heer aus Knechten, Handlangern, Händlern, Dienern bewirtschaftete keinen steinernen Palast, sondern eine Stadt aus Zelten und Wagen. Dirnen flanierten auf der Suche nach Kundschaft, wie die reichen Hofdamen in kostbaren Roben. Als Schmuck trugen sie die Spuren ihres entbehrungsreichen Lebens und das gelbe Band ihrer Zunft. Der König hatte seine Minister, der Offizier seine Adjutanten, der Soldat sein Bier.

Athos brachte sein Pferd zum Stehen. Das arme Tier stand am Rande der Erschöpfung. Schweißnass glänzte das dunkle Fell und der sehnige Pferdeleib hob und senkte sich schweratmend. Beruhigend klopfte er ihm auf den Hals und sah sich um. Die Garnisonseinheiten waren zum Kampf ausgezogen. Das ferne Donnern der Kanonen hallte über die Ebene. Zivilisten, Veteranen, Verletzte, wenige zurückgebliebene Soldaten beherrschten das Lager. Der rhythmische Gleichklang einer Schmiede vermischte sich mit Stimmengewirr. Man wartete in gepresster, steifer, von finsterer Vorahnung geplagter Stimmung auf die Rückkehr der Soldaten. Würden sie Sieger sein oder unterliegen? Wer von ihnen verletzt, wer heil oder nie mehr zurückkehren? Dann brach Betriebsamkeit und Hektik aus. Böse Kunde war vorausgeeilt. Die französische Armee war zum Rückzug gezwungen worden, vom Feind überrannt, zu Hunderten verletzt oder gar tot. Oberst Holmes war besinnungslos vor seiner Truppe ins improvisierte Lazarett gebracht worden.

Athos hielt einen der umherlaufenden, von unnatürlicher Hektik getriebenen Knechte auf und fragte ihn nach einem der Offiziere. Sein gebieterischer Ton genügte, um den Burschen gesprächig zu machen.

"Was ist hier los?"

Der Junge sah ihn nervös an und die vorstehenden Augen standen vor Ungeduld nicht still. "Oberst Holmes kam verletzt zurück. Alleine und halbtot. Er liegt jetzt im Lazarett. Unter seinen Männern muss heillose Panik ausgebrochen sein. Irgendwer hat die Führung übernommen und ist durch dir Reihen der Engländer gebrochen, aber niemand weiß wer und ob es nur ein Gerücht ist. Wahrscheinlich sind mehr als die Hälfte tot. Es heißt, sie machen keine Gefangene. Oberst Jaques Truppen sind vollständig vom Feind eingekeilt sein und sie laufen direkt in die Schwerter der verdammten Engländer. Sie sollen alle zur Hölle fahren, diese Schweine!" Die Geschwindigkeit seiner Erzählung, wetteiferte mit dem nervösen hin und her der rollenden Augäpfeln. Athos ließ ihn los. Der Donner verhallte, die Kanonen standen still, die Artillerie rückte ab. Mit ihrem Schweigen legte sich bleischwer, in ängstliche Erwartung gekleidet, die Stille über das Lager. Es vergingen endlose Minuten, bevor die ersten Soldaten kamen, vor Erschöpfung taumelnd, Kleidung und Gesicht schlamm- und blutbedeckt, Entsetzen und Unglauben in die müden Züge gebrannt. Die Augen glasig, die Bewegungen mechanisch. Es waren meist Bauern und einfache Menschen. Auch eine Uniform täuschte darüber nicht hinweg. Ihnen, den wenigen zu Fuß, folgte der lange Strom der Verletzten. Viele würden in dieser Nacht ihren Verletzungen im Lazarett erliegen, der Rest als Kriegsveteranen zurückkehren. Durch fehlende Hände, Arme, Beine ihrer Arbeit beraubt. Durch die Ignoranz und die Missachtung des Staates, als Bettler am Rande der Gesellschaft enden.

Athos Herz begann merklich schneller zu schlagen. Jetzt wo er die unmittelbaren Folgen eines Kampfes, durch die entkräfteten Soldaten vor Augen geführt sah, wurde ihm die todbringende Tollkühnheit bewusst, in die sich Aramis begeben hatte. Ihn übermannte das lähmende Gefühl der Angst und sein Herz raste jetzt. Wo war in diesem zerwürfelten Haufen ein befehlshabender Offizier, der ihm Auskunft erteilen konnte? Wie sollte er Aramis finden? Was wenn ihr Leichnam auf dem Schlachtfeld lag? Geworfen in eines der Massengräber, für immer namenlos verscharrt? Er lief durch die Reihen der Soldaten und sah ihnen in die Gesichter, aber nirgends war Aramis zu sehen. Grobe Gesichter, breitschultrige Kerle, mit Gliedmaßen wie Baumstämme. Nirgends die feingeschnittenen Züge einer Frau. Immer mehr Verletzte wurden auf den Schultern ihrer Kameraden oder behelfsmäßigen Tragen hereingebracht. Schneller, immer schneller, lief Athos durch die Reihen der Soldaten und suchte nach Aramis oder jemandem der ihm Auskunft erteilen konnte. Sein Mund war trocken, die Zunge klebte am Gaumen, das Blut rauschte in seinem Schädel und er hatte Angst. Angst, Aramis verwundet, blutend, mehr tot als lebendig oder nie mehr wieder zu sehen.

Im letzten Moment, sah er sich um und heftete mehr aus Instinkt als Wissen, den Blick auf die schmalen Schultern eines berittenen Soldaten. Er hatte ihn für einen Offizier gehalten und deshalb kaum beachtet. Obwohl er die Uniform eines einfachen Soldaten trug, drückte seine Haltung Autorität und Kraft aus. Wie stutzte er, als er wirklich Aramis in dem Soldaten erkannte. Ohne bewusst Befehle zu erteilen, folgten die Männer ihren Anweisungen und warteten ihre Entscheidung ab. Auf ihrem Pferd hielt sie den Rücken gerade und ihre Augen wachsam. Erleichterung durchflutete Athos, dass ihm schwindlig wurde. Kein Wunder, dass er sie nicht erkannt hatte. Der Hut hing tief in der Stirn, die schmutzige, unkleidsame Uniform ließ kaum zu erkennen, wer sich darunter befand. Ein Mann mit dem Rangabzeichen eines Obersten kam auf sie zu, klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, als sie vom Pferd glitt. Mit einem kurzen Nicken entfernte sie sich. Der Oberst übernahm es, die Soldaten zu befehligen. Betriebsamkeit hatte sich im Lager ausgebreitet. Nun galt es die Verletzten zu pflegen. Athos folgte Aramis, die sich steifbeinig ihren Weg durch die Soldaten bahnte. Vereinzelt nickten ihr die Männer erkennend zu. Dann verschwand sie hinter den Zelten.
 

Aramis unterdrückte mit Mühe ihre Erschöpfung und die Tränen, die unaufhaltsam in ihr hochstiegen. Sie hatte die Männer befehlig und herausgeführt. Dankbarkeit hatte sie im Lager von Seitens Oberst Jaque und der Männern empfangen, aber sie fühlte nur Leere, nicht Stolz in sich. Es war ganz einfach gewesen. Es brauchte nur jemand, der den kühlen Verstand und die Courage besaß, Befehle zu erteilen und Entscheidungen zu treffen. Sie selbst hatte ja überleben wollen. Bis zu diesem Punkt war sie stark gewesen, jetzt drohte sie die Panik zu übermannen. Ein Oberst Holmes mochte in den Krieg ziehen, aber Aramis hatte nicht mehr die Kraft auf das Schlachtfeld zurückzukehren. Endlich war sie alleine. Tränenblind durch Erde und Morast. Sie sank auf die Knie und schluchzte herzzerreißend.

"... visibilium omnium et invisibilium." Voller Inbrunst murmelte sie die lateinischen Worte, als könnten sie durch den Wahnsinn in ihrem Schädel führen. "Et in unum Dominium Jesum Christum ..." Die Gebete ihrer Kindheit, fremde, unverständliche Worte und doch gleichzeitig vertraute. Das Sterben hörte vor ihrem inneren Auge nicht auf. Athos hatte sie eingeholt und sah sie auf dem Boden knien, die Arme um den Oberkörper geschlungen. Er kniete sich nieder und zog sie in seine Arme. Er spürte, wie sie unter den Kleiderschichten zitterte. Als er ihren Kopf an seine rechte Schulter barg, fiel der breitkrempige Hut von ihrem Kopf und zeigte eine Wolke kurzer Locken, die im Nacken endeten. "Deine Haare sind ab", murmelte er.

Sie sah auf, als bemerke sie ihn erst jetzt. "Ja", schluchzte sie an seinem Hals, ohne sich zu wundern, woher er so plötzlich kam und warum sie in seinen Armen lag.

"Sie sind weg", murmelte er wieder und fuhr mit der Hand über die zarte, weiche Haut am oberen Wirbel zum Nacken hoch, um mit den Fingern durch die kurzen blonden Locken zu fahren.

"Es ist Krieg", flüsterte sie, ohne zu begreifen, dass das Zittern in ihrem Körper nicht mehr von Hunderten toter Kameraden herrührte, sondern von federzarten Berührungen. Er war ganz dicht bei ihr. Athos Arme um ihren Körper, Athos Hände auf ihrem Nacken, Athos Atem an ihrem Ohr, Athos Geruch in ihrer Nase, seine Stimme in ihrem Ohr, wie ein Streicheln. "... Et in Spiritum Sanctum. Et unam, canctam Catholicum ..."

Endlich löste sie sich und sah ihn an. Es schmerzte fast körperlich, ihn wieder zu sehen.

"Was machst du hier?", wisperte sie und ließ sich auf die Hacken zurückfallen. Aramis wirkte ernsthaft schockiert, dass er da war.

"Ist mir dir alles in Ordnung?"

"Es geht schon." Sie senkte den Blick, als schämte sie sich Schwäche und verbarg die Tränen, um unnötige Stärke zu beweisen. "Aber was machst du hier?"

"Die Frage sollte ich dir stellen. Ich soll dich an Haaren nach Paris schleifen. Anweisung vom Kapitän."

Aramis wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. "Ach so, Anweisung vom Kapitän", murmelte sie enttäuscht und erstickte die jähe Ernüchterung, hinter dem wenig schönen Geräusch des Nasehochziehens.

"Ich werde nicht ... ich meine, ich kann nicht ...", Sie stockte und biss sich auf die Zunge. Was wollte und was konnte sie nicht?

"Ich kann und ich werde dich, zum Kapitän zurückbringen. Du hast hier nichts verloren, Renée und ..."

Den restlichen Teil des Satzes hörte Aramis nicht mehr. Die Außenwelt stülpte sich um und ließ sie in einer Blase zurück, die ihr Ohren und Augen verschloss, lediglich der Nachhall ihres Namens blieb zurück. Athos wirkte wie ein artikulierender Fisch.

"Was hast du gesagt?", flüsterte sie tonlos und fing unkontrolliert an zu zittern. Vor ihren Augen verschwamm alles, als hätte man die Welt gepackt und geschüttelt. Sie war zutiefst erschüttert.

Verwundert sah Athos in das farblose Gesicht und die unnatürlich aufgerissenen Augen. Während der letzten Wochen hatte er ständig an sie denken müssen. Sie war eine nicht zu greifende Gestalt, halb Aramis halb Renée. Er konnte sie nicht festlegen, sein Bild von ihr änderte sich von Sekunde zu Sekunden und nun die des dreckbesudelte Soldaten. Das blasse, spitze Gesicht unter den kurzen Haaren, das die Vorzüge ihrer feingeschnittenen Züge deutlicher hervortreten ließ. Er sah sie an, wie sie da am Boden hockte in ihrer dunklen Uniform ... ihrer Uniform, die einmal dunkel gewesen war, bevor sich Schlamm und Dreck darüber gelegt hatten ... und wusste beim besten Willen nicht, was er vor ihr halten sollte.

"Was ist mit dir?"

"Was hast du gesagt, Athos?", wiederholte Aramis.

"Das du des Wahnsinns bist?"

"Davor, meinen Namen!"

Athos sah sie wortlos und verwirrt an, als würde er an ihrem Verstand zweifeln.

"Du weißt, dass ich eine Frau bin?"

"Natürlich!"

Aramis sog hart die Luft ein, Schlieren tanzten vor ihren Augen und sie stieß mühsam hervor. "Wie lange?"

"Warum siehst du mich so erstaunt an? D'Artagnan hat genau deshalb Jean zu dir geschickt. Damit er dich warnt."

"Wovor warnt?"

Athos stöhnte innerlich und fühlte sich, als hätte er gerade etwas unglaublich dummes gesagt. "Du hast Jean nicht angetroffen."

"Wovor warnen, Athos?", fragte Aramis schneidend und die blauen Augen zerrissen ihn in Stücke.

Er seufzte schwer und sagte bedächtig. "Vor mir und Porthos!"

Aramis riss sich los und lief mit schnellen Schritten davon.

Er hatte etwas wirklich Dummes gesagt. Resigniert und abermals seufzend, sah er der wütenden Aramis nach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  blubbie
2011-06-26T21:04:30+00:00 26.06.2011 23:04
Oh man....Aramis entwickelt sich zum Fluchttier -.-
Dabei scheint sie die geborene Anführerin zu sein. Und Athos verliert den Verstand, wenn es um sie steht. Wenigstens scheint er kenen Groll mehr gegen sie zu hegen und braucht jetzt nur noch die Erkenntnis, dass er ihr komplett verfallen ist.
Ich möchte Claude noch immer töten.
Und ein bisschen vermisse ich Charles.
Von:  Tach
2005-04-12T10:27:51+00:00 12.04.2005 12:27
Die Sache mit den Haaren hat mir in der Seele weh getan -__-° Aber der Rest war sehr packend. Mir sind Freitag fast die Chicken Nuggets in der Pfanne angebrannt weil ich nebenbei immer noch gelesen hab. Habs mir in der Schule ausgedruckt und dann mit nach Haus genommen...und dann hab ich überlegt ob ich vielleicht mal n paar Illustrationen dazu machen dürfte?
Von: abgemeldet
2005-04-10T10:26:58+00:00 10.04.2005 12:26
Habe erst gestern angefangen deine Story zu lesen und bin total begeistert!!!!!!!!Konnte einfach nicht mehr aufhören.Meiner Meinung nach würde das einen genialen Film abgeben (bin halt hoffnnungslos romantisch) *seufz*
Mach weiter so und schreib gaaaanz schnell das nächste Kapitel,bin schon total gespannt......
Von:  Kajuschka
2005-04-07T15:44:24+00:00 07.04.2005 17:44
Na diesmal bin ich offensichtilich ein bisschen spät dran mit meinem Kommentar *Asche auf mein Haupt* :-)
Also meine Begeisterung jetzt so zu formulieren, ohne das selbe zu schreiben wie die anderen, ist ziemlich schwer. Jedenfalls bin ich auch begeistert und war beim lesen wieder richtig gespannt. Ich freue mich schon auf dein nächstes Kapitel.
Von: abgemeldet
2005-04-07T14:20:48+00:00 07.04.2005 16:20
^-^

Schon wieder ein geniales Kapitel! *freu* Schreib schnell weiter, weil ich auch wissen will, wie's weiter geht! So langsam nimmt die Story ja das Ausmaß eines richtigen Romans an! ^-^
Von:  Kanoe
2005-04-07T10:35:09+00:00 07.04.2005 12:35
Sooo geschafft (blöde arbeit) es ist wieder mal herrlich
Kompliment an Athos das er sie überhaupt gefunden hat .. *lacht*
ich bin schon total gespannt wie es weiter geht un schließ mich Ayumis kommentar mit dem Computer an *G*

ich freu mich schon auf das nächste Lesematterial *G*
Von: abgemeldet
2005-04-07T09:22:17+00:00 07.04.2005 11:22
Klasse!!!Athos hat Aramis gefunden, dass konnte ja schließlich nicht anders kommen ;-)
Hoffentlich kommt Athos jetzt mal auf die Idee ihr seine Liebe zu gestehen, denn der richtige Augenblick scheint mir bald gekommen.
Ich bin schon wieder so hibbelig, weil ich unbedingt wissen will wie es weiter geht!!!
Also, setz dich an deinen Computer und schreib sofort das nächste Kapitel!!!! ;-)

Au revoir, Ayumi

P.S.: Das Kapitel war so toll geschreiben wie immer!
Von: abgemeldet
2005-04-07T07:33:41+00:00 07.04.2005 09:33
meine güte, ich war wieder total gefesselt am PC... du beschreibst solche szenarien mir immer fast ein wenig zu genau :o) aber wahrscheinlich bin ich gerade deshalb immer so gebannt... und was macht aramis? sie läuft schon wieder davon, mmh, das muss mal dringend geändert werden ;o) ein sehr gutes kapitel mal wieder, bin sehr beeindruckt... und jetzt kann ich natürlich das nächste überhaupt nicht abwarten :o) wirklich super, wie du schreibst! :o)
LG Krisi


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