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Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

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Rückkehr

Es war ein wirklich schöner Oktobertag, nur wusste es dieser Tag im Oktober nicht, dass er schön sein sollte, denn es goss in Strömen. Und wie es häufig in der mathematischen Formel des Reisenden verankert ist, blies der Wind von vorn.

Beide Reisenden hatten die Köpfe gesenkt, die Schultern zusammengezogen und hielten die Umhänge eng am Körper gerafft. Sie ritten nur langsam, gegen Wind und Regen und Erschöpfung an. Eine weite Wegstrecke lag noch vor ihnen. Der Himmel war grau verhangen und Dunkel. Der Wind und die Nässe fuhren zu einer Jahreszeit, in der die Sonne nur noch wenig Kraft zum Wärmen hatte, kalt und klamm durch die Kleidung.

>Man weiß von meiner wahren Identität. Merkwürdigerweise fürchte ich mich gar nicht, < dachte Aramis. >Eigentlich sollte ich mich fürchten. Bald treffen wir auf Porthos und sein Zorn soll fürchterlich sein. Wird er mich verraten? Wer werde ich in Paris sein?< Sie verspürte das klamme Gefühl der Angst und Ungewissheit, aber das heiße Gefühl des Zorn drängelte sich vor. Und Zorn verspürte sie, seitdem Athos ihr erklärt hatte, warum D'Artagnan ihr Jean geschickt hatte. Die Wut kroch in ihr hoch und erstickte sie fast, wenn sie daran dachte, wie Athos sie die ganze Zeit über getäuscht hatte. Aramis ballte unter dem Mantel die Hand zur Faust. Sie spürte nicht den Schmerz, als ihre Fingernägel sich in die Haut gruben, vor innerer Erregung. Es kostete sie unendliche Überwindung auch nur den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Athos war der Mensch, den sie am meisten achtete und von dem sie die größte Achtung ersehnte. Ein bloßer Blick oder ein Wort an sie, hatten an manchen einsamen Tagen höchste Glückseeligkeit bedeutet, eine Berührung brannte heißer, als das Feuer und von diesem Mensch verraten worden zu sein, bedeutete den Verrat der ganzen Welt.

Bald würde es Abend sein und sie mussten irgendwo übernachten, bevor sie am nächsten Tag auf Porthos und D'Artagnan stießen.

Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend. Sie ließen Niort, Poiters und Châteauroux hinter sich. Bei Chinon suchten sie sich ein Gasthaus.

Beruhigend tätschelte Aramis ein letztes Mahl die Schnauze ihres Pferdes, verließ den Stall und betrat das Gasthaus. Dankbar hieß sie die Wärme willkommen. Athos kam ihr entgegen. Wenige Gäste hielten die Köpfe über ihre Getränke gebeugt. Die Mehrheit sah auf und musterte sie misstrauisch. Sie sahen die müden Gesichtszüge des Neuankömmlings, die verschmutzte Uniform der französischen Armee und blickten genauer hin. Sie sahen den Degen an der Seite, die Muskete auf dem Rücken, das Blut auf dem Stoff und senkten schnell die Köpfe. Ein Reisender schlief auf einer harten Holzbank beim Kamin. Schweigend räumte eine Magd das dreckige Geschirr ab.

Athos zog sie beiseite. "Wir haben Glück und bekommen noch etwas zu Essen, auch wenn es nur Brot und Käse ist. Sind die Pferde gut untergebracht, Renée?"

Aramis erschrak und zischte erbost. "Nenne nicht meinen Namen!"

Er hob abwehrend die Hand. "Schon gut, du bist noch immer wütend, aber ich habe noch eine schlechte Nachricht für dich."

"Was?"

"Unser Gastgeber hat nur noch ein Zimmer, mit einem Bett frei."

Aramis schnappte nach Luft. "Aber ..."

"Du hast die Wahl zwischen mir oder Sattel und Stroh im feuchten, zugigen Stall, mit einer garantierten Erkältung als Folge." Aramis entschied sich für das Bett.

Ihre Mahlzeit nahmen sie in völliger Stille ein. Sie schwieg nun schon seit ihrer Abreise und das bedeutungsvoll. Mit würgendenden Bissen, den Blick stur auf die Tischplatte gerichtet, brachte Aramis das Brot herunter und spülte mit wässrigem Wein nach. Sie verspürte nicht den geringsten Hunger.

Athos ließ seinen Becher derart heftig niedersausen, dass der restliche Wein über den Rand schwappte. "Hör auf mich anzuschweigen, Aramis!", und seine Augen funkelten beunruhigend. Überrascht hob sie den Kopf.

"Wir haben letztendlich beide Fehler gemacht und beide gelogen", fuhr er fort und hatte Mühe seine Stimme zu dämpfen. Ihr stures Verhalten reizte ihn nun schon seit Stunden. Statt ihm zu antworten, drehte sie sich um und winkte dem Wirt.

"Monsieur, noch einmal Wein." Eine Gruppe Bauern erhob sich und ging.

Sie sah ihn mit unergründlichen Augen an, dann senkte sie wieder den Blick. Er hatte Unrecht. An sich war sie eine sehr wahrheitsliebende Person, deren geradliniger Charakter Lügen und Verstellung zutiefst zu wieder waren. Aber sie unterteilte Wahrheit in zwei Kategorien. Dinge die man den Leuten sagte und Dinge die man besser für sich behielt. Was ihre Verkleidung als Mann anging? Nun, ein jeder hatte Augen im Kopf... Athos hingegen hätte anders Handel können und sie war nicht bereit, ihm so leicht zu verzeihen.

"Herrgott", entfuhr es ihm und er zog missbilligend die Augen zusammen. "Ich habe mich genauso verletzt gefühlt, wie du und habe dich gehasst."

"Gehasst?" Ruckartig ging ihr Kopf wieder nach oben. Ihre Stimme war rau und gebrochen.

"Ja, gehasst! Gehasst für das was du uns angetan hast. Für die Narren, die du aus uns gemacht hast."

"Euch angetan habe?"

"Ich weiß, was du sagen willst, aber auch wenn du es nicht verstehen kannst. Du hättest ein Mörder, Dieb oder Betrüger sein können, aber ... eine Frau? Was glaubst du, was Männer davon halten, wenn du so tust, als wärst du einer von ihnen? Du hast alle glauben lassen, dass du seiest Mann."

Sie legte den Kopf schief. "Natürlich, dass musste ich."

"Was erwartest du von uns, wo wir dich einordnen? Ein Mann bist du nicht und du kannst uns diese Vorstellung auch nicht mehr weiter vorgaukeln, aber dem Bild einer Frau entsprichst du auch nicht. Wer bist du, Aramis?" Athos sah sie eindringlich an.

"Das weiß ich nicht", sagte sie leise und zögerlich.

Athos beugt sich näher über den Tisch und sagte langsam.

"Wir waren TAGTÄGLICH zusammen, weil wir dich für einen MANN HIELTEN. Männer benehmen sich in Gegenwart von Frauen ganz anders. Hast du auch nur die leiseste Vorstellung, wie viel von dem was du hörtest und sahest, NIE für die Ohren und Augen einer Frau bestimmt war?"

Aramis stützte die Arme auf und schob sich ebenfalls näher. "Es-war-sehr-lehrreich-danke", zischte sie, Gesicht an Gesicht. "Aber ihr erschüttert nicht unbedingt mein Weltbild, nur weil ich weiß, wie ihr euch am Hintern kratzt", und ließ sich wieder auf den Stuhl zurück fallen

"Oh", Athos verzog das Gesicht, "darauf reduzierst du sieben Jahre mit uns?" Aramis zuckte die Schultern.

"Das tut weh", fuhr er theatralisch fort und wurde wieder ernst. "Wir dachten dich in- und auswendig zu kennen, Aramis."

"Ihr kennt mich in- und auswendig, Athos."

"Es geht nicht darum, dass dein Wesen das gleiche ist, es geht darum, was unter deiner Kleidung steckt. Weißt du, was man mit einer Frau macht?", fragte er provozierend. Bei diesem Satz biss sich Aramis auf die Zunge. Das dämmrige Licht der wenigen Öllampen verbarg gnädig den Rot-Ton auf ihrem Gesicht. Ihr war durchaus klar, was er meinte. Athos sah sie herausfordernd an. "Jedenfalls nicht, um mit ihr nach Beulonie zum Pferderennen zu gehen, sich über Frauengeschichten zu unterhalten, in der Taverne bis zum Morgengrauen zu trinken und auf dem Kasernenhof zu kämpfen."

"Und doch, haben wir all das gemeinsam getan", sagte sie leise und sehr nachdenklich. Die wenigsten Frauen steckten in einer schmutzbesudelten Uniform, um durch den Schlamm eines Schlachtfeldes zu stapfen. Die wenigsten Frauen rochen nach Pferd, weil sie ihre meiste Zeit auf dem Pferderücken verbrachten, die Haut rau von Wind und Sonne. Die wenigsten Frauen verbrachten die Stunden ihres Tages zwischen Übungsplatz, Kaserne und Taverne. Keine Männer interessierten sich für diese wenigen Frauen. Aramis kam sich in diesem Augenblick sehr dumm und lächerlich vor. Nein, kein Mann war sie und es würde ihr nur übrig bleiben, dieses Zwischenwesen zu spielen, damit sie vielleicht akzeptiert wurde.

"Ich will endlich nach Hause", sagte sie schließlich. "Wir sollten uns nicht gegenseitig hassen, Athos."

Er nickte erleichtert und lächelte vorsichtig.
 

Eine Kerze brannte. Es war kalt in dem Zimmer, dass nur von einem Bett beherrscht wurde. Der Kamin war leer und kalt. Abgestandener Ruß zog sich über das Mauerwerk. Ansonsten standen zwei Stühle in dem Zimmer und eine verbeulte Bettpfanne auf den Dielen. Der Wind wehte durch die Ritzen in den Fensterläden. Das Betttuch schien mehrfach gebraucht, rau und geflickt zu sein, aber sauber. Ein wenig Stroh stach aus den Seiten der Matratze. Wortlos entkleidete sich Athos bis auf die lange Unterhose, während Aramis, unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte, in das Kerzenlicht starrte. Sie hob den Kopf, als kein Rascheln mehr erfolgte und begegnete dem provokanten Blick von Athos, der breitbeinig auf seiner Seite des Bettes stand. Sie benötigte einige Zeit, bevor sie dem provokanten Blick seiner Augen begegnete. Der Rest seines unbekleideten Körpers hielt sie auf. Sie musterte ihn gründlich, sagte aber nichts.

"Ich drehe mich weg, dann kannst du dich umziehen!", sagte er, kroch unter die Bettdecke und drehte ihr den Rücken zu. Was reine Höflichkeit war, kam ihr unendlich würdelos vor. Der Umgang mit ihr bedeutete Unbequemlichkeit, ein Ärgernis.

Eine zeitlang starrte Aramis mit hängenden Schultern auf seinen Rücken. Seufzend fuhr sie sich mit der Hand durch das Haar und spürte die kurzen Locken durch die Finger rinnen. Das einzig schöne und weiblich, was sie an sich selbst gefunden hatte, war unter der Schere gefallen, was ihr noch einen Seufzer abrang. Sie zog sich aus. Der Wind und die Kälte krochen unangenehm auf der nackten Haut, in der sie sich gerade alles andere als wohl fühlte. Ein Luftzug ließ die Kerze flackern. Sie bemerkte den Schatten, der hinter ihr stand und löschte rasch das Licht, dann zog sie ein frisches Hemd über und kroch genau wie Athos unter die Decke. Es wurde dunkel und Athos schloss die Augen, ohne wirklich müde zu sein. Bevor Aramis die Kerze gelöscht hatte, hatte das Licht die Umrisse ihres Körpers an die Wand geworfen. Ohne Musketieruniform, festes Brustband oder einengende Korsage. Das Bild verfolgte ihn nun, ob er wollte oder nicht und ließ in alles andere als schläfrig werden. Ein ganz anderer Teil seines Körpers begann zu erwachen und nach Erfüllung zu schreien. Die letzte Blockade, sie als Mann zu sehen, war gefallen. Er seufzte. Obwohl mehrer Fingerbreit Platz zwischen ihnen war, spürte er die Wärme ihres Körpers. Dass sie sich unruhig hin und her warf, machte es nicht einfacher für ihn.

Ich habe zu lange keine Frau mehr gehabt, dachte er, dass war es. Athos hätten nur die Arme ausstrecken brauchen, um sie zu berühren. Nur tat er es nicht. Beide glaubten, der andere würde es nicht wollen. So starrten beide blicklos ins Leere.

Aramis wickelte sich, unglücklich mit jeder Faser ihres Seins, enger in die Decke, ohne Wärme zu finden. Kummer und Gram kannten keine Wärme.
 

Als Athos am nächsten Tag erwachte, war das Bett neben ihm leer. Schlagartig war er wach und instinktiv wusste er, was die leere Seite neben ihm zu bedeuten hatte. Aramis hatte das Gasthaus verlassen, um erneut davon zu laufen. Das Laken trug noch den Abdruck des Körpers, der unlängst hier geruht hatte und ihr Geruch lag noch in der Luft, was bedeutete, dass noch nicht viel Zeit vergangen war. Dunkelheit lag noch über der frühen Morgenstunde. Barfuss und nur mit der Unterhose begleitet, lief Athos die Treppe hinunter. Das Holz knirschte und knarrte, als er die Stufen in großen Sprüngen hinter sich brachte. Er stürzte zur Tür und zum Stall hin.

Aramis runzelte die Braunen und trommelte mit den Fingern auf dem Lederband der Zügel. Ungeduldig rutschte sie im Sattel hin und her und sah mit einem Seufzer nieder.

"In diesem Aufzug wirst du dir zweifelsohne den Tod holen." Athos Unterhose rutschte gefährlich unter die Hüften. Er blieb angesichts seiner freizügigen Aufmachung ruhig. Mit einer Hand hielt er seine Hose, mit der anderen die Zügel fest. "Dazu zwingst du mich schließlich, Aramis oder willst du mir weiß machen, auszureiten, um frisches Baguette zu kaufen?" Ärgerlich, zerrte Aramis an den Zügeln. Unnachgiebig zog Athos am anderen Ende der Bänder. Verwirrt trabte der Hengst auf der Stelle und wieherte hilflos.

"Selbstverständlich, und frische Milch und Käse dazu", sagte sie im völligen Ernst und hob das Kinn höher, "u-n-d n-u-n l-a-s-s l-o-s!" Ihre Stirn legte sich vor Anstrengung in Falten.

"Komm vom Pferd runter!"

Das Kinn ob sich höher. "Warum!"

"Weil du den Weisungen deines Kapitäns folgen musst."

Der Blick wurde sturer. "Ich muss nur meiner eigenen Bestimmung folgen."

"Ich gebe dir jetzt einen Rat, hör zu!"

"Ja"

"Wenn du deiner Bestimmung folgst ..."

"Ja?"

"auf dein Herz hörst ..."

"Ja?"

"und den Sternen folgst ..."

"Ja?"

"Dann wirst du trotzdem Anweisungen folgen müssen, von Menschen, die ihre Zeit damit verbringen, den Regeln zu folgen, hart zu Arbeiten und nicht faul zu sein."

"Was hätte ich denn tun können?"

"Etwas mit weniger Tot und Sterben?"

Aramis, die wusste, wann Widerspruch zwecklos war, folgte ihm brav auf das Zimmer zurück.
 

In einem kleinen Ort vor Blois, der heute gar nicht mehr existiert, warteten D'Artagnan und Porthos. Der Ort war so klein, dass er weder eine Kirche, noch ein Gasthaus besaß. Im eigentlichen Sinne führte die Straße nicht durch den Ort, sondern mehrere Meter an ihm vorbei und nur ein schmaler Trampelfahrt verband die wenigen baufälligen Hütten miteinander. Kein verführerischer Duft nach Braten oder frisch gebackenem Brot verlockte Porthos zu Umwegen über den Magen. Die Menschen hier begannen den Tag mit fader Haferschleimgrütze und beendeten das Tagewerk mit einer wenig nahrhaften Suppe aus Gerste und den Gemüsesorten der jeweiligen Jahreszeit. Am Ende ihres kurzen, entbehrungsreichen Lebens starben sie und nur einmal pro Jahr hatte ein Braten auf ihren Tisch gestanden. Ein Leben, das wenig lebenswert war und an dessen Existenz Porthos gar nicht glaubte.

Zwei Tage hatte jeder Zeit gehabt, zu Suchen, dann wollten sie hier wieder auf einander treffen, mit oder ohne Aramis. Porthos Zähne zermalmten gleichmäßig einen Apfel, während er auf die Straße starrte. Die Sonne schien und der Wind fuhr durch die Bäume, welche die Farben des Herbstes trugen.

"Machst du dir Sorgen?"

"Um was?", murmelte er, mit Fruchtfleisch zwischen den Zähnen und blickte seinen jungen Begleiter unverständlich an.

"Um Aramis?" D'Artagnan musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzustöhnen. Es konnte nicht sein, dass in diesem, körperlich viel vorhandenen Menschen, überhaupt kein Feingefühl saß. Denn, dass Porthos ein ebenso großes Herz, wie Magen besaß, war Tatsache.

Porthos zuckte die Schultern, richtete den Blick wieder nach vorn und kaute weiter. Für D'Artagnan war es schwer zu sagen, was er dachte. Vielleicht beschäftigte sich Porthos mit gar keinen Gedanken. Der riesige Musketier war nicht dumm oder geistig unbeweglich. Es gehört einfach nicht zu seinem Wesen, viel Denkarbeit zu leisten. Er ließ seinen Geist treiben. Die schwierigen Denkprozesse, logische Analysen und Gedächtnisübungen überließ er anderen.

"Athos wird Aramis gar nicht finden", brummte Porthos zu seiner Überraschung. "Keine Frau zieht als Soldat in den Krieg. Sie wird nach Hause zurückgekehrt sein."

D'Artagnan enthielt sich einer Antwort. Die Zeit würde die Antwort bringen. Das Porthos Aramis hasste, das glaubte er nicht. Mochte Porthos sich auch einreden, Aramis zu verabscheuen, aber ihre gegenseitige Anziehungskraft machte es einfach unmöglich, dass sich Porthos und Aramis nicht mochten. Wenn sie vier wieder beieinander waren, würde der sture Koloss seinen Irrtum einsehen müssen und bald Aramis Geschlecht akzeptieren, wie er es tat.

Staub wirbelte in der Ferne auf und zwei kleine Punkte bewegten sich auf sie zu. Bald mischte sich in das Geräusch vom Windrauschen Pferdegehtrabe. Er konnte Athos erkennen, der zwei Pferdelängen vor seinem Begleiter lag. D'Artagnan lief zur Straße und schwenkte übermütig seinen Hut, als würde Athos Probleme haben, ihn in dieser Menschenlosen, völlig freien Ebene zu übersehen. Athos Begleiter hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen und blickte zu Boden. Es musste einfach Aramis sein.

Athos zügelte sein Pferd, doch statt einer Begrüßung, konnte er nichts anderes tun, als seine Nase in ein Taschentuch zu stecken und dieses mit lauter Fanfare zu malträtieren. Mit rotgeränderten Augen sah er auf sie nieder.

"Du hast dir eine Erkältung geholt?", fragte Porthos ungläubig. "Als wir losritten, warst du noch bei vollkommener Gesundheit. Bist du nackt umhergerannt?"

"Du hast ja keine Ahnung", ertönte es aus dem Taschentuch.

D'Artagnan trat auf den zweiten Reiter zu und bereitete die Arme aus. "Aramis!", rief er freudig, und ein Lächeln erhellte seine Züge, als wollte es ein Gesicht zweiteilen. Finster richtete auch Porthos seinen Blick in die Richtung.

Mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, glitt Aramis vom Pferd und ließ sich in die Arme schließen. Sie drückte den warmen Jungenkörper an sich und spürte, die Zuneigung in seinen Armen. Zum ersten Mal seit langem löste sich der feste Eisenring um ihren Brustkorb merklich.

Verwundert schob er sie auf Armlänge vor sich.

"Wie bist zu einem Korporal geworden?"

"Ich traf unterwegs auf einen, der aus seinem Heimurlaub an die Front zurückkehrte."

"Und was ist aus ihm geworden?"

"Was soll aus ihm geworden sein", fragte sie verwundert. "Er reiste in Unterwäsche weiter."

Porthos ignorierte sie.

"Lass uns Weiterreiten. Es liegt noch ein langer Weg bis Paris vor uns", sagte Athos und begleitete seine Worte mit einer weiteren Niessalve.
 

Sie waren eine ganze Weile geritten und der lange Weg saß schon spürbar in den Knochen, da ließ sich Porthos zurückfallen und ritt schweigend neben Aramis her. Mit Absicht, ritt Athos mehrere Meter vor ihnen. Er wusste was kommen würde. Wie ein Gewitter ging der Streit los, ein verbaler Orkan begleitet von tiefen Stirnfurchen, bitterbösen Blicken und verkniffenen Mundwinkeln. Keifend behackten sich beide.

D'Artagnan lenkte sein Pferd näher zu Athos.

"Möchtest du nicht eingreifen?"

Der ältere Musketier lächelte bedeutungsvoll "Ich bin nicht lebensmüde."

"Aber ..." Besorgt schaute sich D'Artagnan um, ob beide handgreiflich geworden waren.

"Lass sie sich austoben", sagte Athos sanft und bedachte ihn mit nachsichtigem Blick.

Nach einer Viertelmeile, drehte er sich im Sattel herum, zog die Augenbrauen steil und donnerte "Ruhe!"

Daraufhin wurde es still, durchbrochen von gelegentlichem Schniefen und leisem Murren.

"Aramis", Athos drehte sich nicht zu ihrer herum, sondern hielt den Blick auf die Straße gerichtet, "heute Abend erreichen wir Paris und du wirst nicht fliehen. Ich tue dies nur, um dich vor einer weiteren Dummheit zu bewahren."

Er erhielt keine Antwort, aber davon jede Menge.
 

Weit nach Mitternacht erreichten sie erst Paris. Über Saint Denis passierten sie die Stadt und ritten durch die dunklen Gassen heim. Die Nachtwächter eilten mit Öllampen durch Straßen und riefen die Stundenanzahl der Nacht aus. Ein merkwürdiges Gefühl im Magen beschlich Aramis, als sie in die Straße einbogen, in der ihr Haus lag. Immer höher schlug ihr Herz, als sie sich der vertrauten Fassade näherten. Im Gleichklang mit ihren lauten Herzschlägen, schlugen die eisenbeschlagenen Hufe ihres Pferdes auf das steinerne Pflaster auf. Klick Klack, mit jedem Schritt näher. Schweigend hielten sie und warteten, dass Aramis abstieg. Athos nahm die Zügel ihres Pferdes in die Hand. "Ich werde dein Pferd in den Stall im Musketierquartier bringen. Sorge dich nicht um ihn!" Aramis nickte und schritt die Treppe hoch. Ihre Finger fuhren an den Fugen am Türrahmen entlang und holten, hinter einem losen Mörtelstück, den Hausschlüssel hervor.

"Aramis", rief ihr Athos hinterher, "und morgen wirst du ..."

"...vor dem Kapitän erscheinen", vollendete Aramis seufzend den Satz, ohne sich umzudrehen.

"Ich kann Jean übrigens hinter Madame Campês Regenkübel sehen." Sie machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie fortfuhr. "Darüber befindet sich direkt Madams Schlafzimmer. Kein Kind in Jeans Alter, sollte über Nacht unter Madame Campês Schlafkammer sitzen. Es wäre nicht mehr dasselbe, am nächsten Morgen, wenn ihr versteht, was ich meine." Ohne sich zu verabschieden, schloss Aramis die Tür hinter sich. Drei Augenpaare sahen interessiert zum offen stehenden Fenster über der Tonne auf.

Die Wohnung war vollkommen dunkel und kalt. Wände und Böden waren ausgekühlt, die Möbel mit einer Staubschicht versehen. Fahles Nachtlicht fiel unwohnlich in die Stube. Aramis legte Degen, Hut und Handschuhe auf den Tisch und fuhr sich durchs Haar. Unschlüssig verharrte sie in der Raummitte. Alles befand sich an Ort und Stelle, akkurat aufgeräumt, vertraut und doch fremd. Hinter ihr knarrt die Tür.

"Sind sie endlich zurück?"

Die dürre Gestalt ihrer Vermieterin trat über die Schwelle. Das Gesicht den gewohnt verkniffenen Gesichtsausdruck tragend, der ihr schon in die Wiege gelegt worden war.

"Ja, Madam", murmelte Aramis ohne sie weiter zu beachten. Bedächtig schritt sie ihre Wohnung ab. Madam Solecjin folgte ihr. "Ihre Haare sind ja ab!", sagte sie mit schnurriger Stimme.

"Ja, Madam."

"Und eine Uniform tragen Sie."

"Ja, Madam."

"Haben Sie vor, weiter hier zu wohnen?"

"Ja, Madam."

"Und wer zahlt mir die ausstehende Miete?"

Überrascht drehte sich Aramis um. "Wurden die letzten fünf Monate nicht an Sie gezahlt?"

"Nein, keinen müden Sou sah ich. Sie können von Glück reden, dass ich Ihre Wohnung nicht weitervermietet habe. Sonst hätten Sie sehen können, wo sie geblieben wären. Die Möbel gehören schließlich auch mir", zischelte sie gehässig.

"Sie werden Ihr Geld erhalten, Madam. Gleich Morgen gehe ich zur Bank." Energisch drängte Aramis die Dame zur Tür.

"Wenn ich nicht bis morgen Mittag mein restliches Geld ...." Die zuschlagende Tür erstickte den Rest des Satzes. Mit einem Seufzer ließ sich Aramis auf den Stuhl fallen, barg ihr Gesicht in den Armen und weinte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  blubbie
2011-06-26T21:19:45+00:00 26.06.2011 23:19
Ich liebe dieses Kapitel! Ganz ehrlich. Das Gespräch Athos-Aramis, die Szeen wo Aramis das Frühstück besorgen wollte, weswegen Athos sich eine Erkältung zuzog, das Wiedersehen, die "Aussprache oder eher das Anschreien mit Porthos und Jean hinter dem Regenkübel. Und die interessierten Blicke zu dem Zimmer von Aramis Vermieterin...hahaha!
aber warum zum teufel wurde Aramis Miete nciht bezahlt. Frechheit! Und der Tital des näcsten Kapitels klingt nicht gut :(
Von: abgemeldet
2005-04-22T06:28:53+00:00 22.04.2005 08:28
oh mann, ich komm gar nicht mit dem kommentieren hinterher, da hast du schon das neue kapitel hochgeladen, mmmhhh, na das kann ich jetzt wenigstens die 25 min im zug genießen :o) also zu diesem kapitel hier: ich sag nur knister, knister, liegt da was in der luft? na wir wollen es mal hoffen ;o) hattest du eventuell darüber nachgedacht den dialog zwischen aramis und porthos weiter zu detaillieren? mich hätte es schon sehr interessiert, wie er zu dieser ganzen verdrehten sache steht... aber auf jeden fall ein super guddi kapitel und jetzt flitz ich gleich weiter zum nächsten :o) ich wünsche dir noch ein wunderschönes we und ich meld mich bei dir :o)
Viele liebe Grüße
Krisi
Von:  Tach
2005-04-18T12:10:31+00:00 18.04.2005 14:10
Die Zeitschrift mit dem Moviestar würde jetzt sagen: Großes Kino mit viel Gefühl! =] Gefällt mir wie immer. Die Mail is angekommen, am WE druck ichs dann und mach mich ans Werk x]
Von:  Kajuschka
2005-04-17T11:59:40+00:00 17.04.2005 13:59
Also du hast wirklich meinen respekt. Mir wären an deiner Stelle wahrscheinlich schon länst die guten Ideen ausgegangen, aber du hast immer wieder geniale Einfälle, die mich mitreißen. Ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht :-)
Von:  Kanoe
2005-04-16T13:09:27+00:00 16.04.2005 15:09
Herrlich *den hausputz hinter sich liegen lass*
*knuddelt*
wieder einmal herrlich ich bin schon gespannt wie ne bogensehne wie es weitergeht
Von:  tora_meno
2005-04-16T12:13:57+00:00 16.04.2005 14:13
wieder mal ein inhaltlich sehr schönes und schlüssiges kapitel :) ich genieße es immer deine fanfic zu lesen ^^
allerdings frag ich mich ob du vielleicht ein bisschen müde warst oder so, als dus geschrieben hast, normalerweise find ich deine sprache nämlich tadellos und sehr spannend ;), aber dieses mal sind mir ein paar grammatikalische ungereimtheiten aufgefallen
fand ich ein bisschen schade
ansonsten mal wieder sehr gut gelungen :)
schöne grüße
tora


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