Zum Inhalt der Seite

Diplomatie im Auftrag seiner Majestät

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zerstörter Ruf

Aberhundert Stiefelschritte im Gleichmarsch, die Musketen auf den Unterarmen angelegt, geladen und der Abzug durchgedrückt...

Aramis erwachte schlagartig aus ihrem Albtraum. Einer der unzähligen Albräume, die sie seit La Rochelle heimsuchten. Aber es war das laute Klopfen an der Tür, das sie aus der Albtraumwelt gerettet hatte und nicht der Schrecken des Traumes selbst. Die Art des Klopfens gab deutlich zu verstehen, dass sein Urheber sehr, sehr ungehalten zu sein schien.

Porthos stand vor der Tür.

"Na endlich", brummte er und trat ungeduldig ein. "Hast du etwas zu essen im Haus?"

Unverständlich starrte Aramis ihn an, ohne antworten zu können. "Porthos, ich bin gestern Nacht erst wiedergekommen ... ich habe nicht einmal Ratten", fügte sie hinzu.

Sein Blick glitt an ihrem Aufzug hinunter. Sie hatte ihr Nachthemd unter einer langen Decke verborgen. Die bloßen Füße schauten noch hervor. Seine Züge entglitten ihm.

"Deine Haare sind ja kurz?!"

Aramis schüttelte verständnislos den Kopf. Sieben Jahre paranoides Verhalten, waren in Porthos Fall ganz umsonst gewesen. "Kein Wunder, dass ich so lange damit durchkam", murmelte sie.

"Was meinst du? Bist du gerade erst aufgestanden?"

Porthos sah sich um, als könnte er doch einen Bissen Essbares finden. "Wenn ich Ratte wäre, würde ich auch nicht hier sein wollen", brummte er.

"Bitte?" Ihre Augenbrauen rutschten steil nach unten.

"Weil du nichts zu essen hast", beeilte er sich zu sagen. Jegliche Form von Zynismus lag ihm nicht. "Lass uns einfach bei den Schmorküchen vorbeigehen!"

Madam Boeulova eilte an ihnen vorbei, mit wirbelnden Unterröcken und ein Korb voller Esswaren in der Armbeuge. "Bonjour Monsieur Porthos, Bonjour Monsieur Aramis, wieder zurück in Paris?"

"Bonjour Madam", grüßten beide artig und zog die Hüte. Der Duft von frischem Baguette zog an ihnen vorbei und verschwand an der Ecke. Erneutes Grüßen, als Monsieur Maeve, der Buchhändler vorbei ging.

Sie kamen am Haus der Campês' vorbei. Die Fensterläden des ominösen Schlafgemachs waren noch geschlossen. Porthos Blick ging sehnsuchtsvoll nach oben. Er seufzte schwer, ob nun wegen der Baguette oder der Liebe.

"Natürlich habe ich schon von Madame Campês gehört ..."

"Wer hat das nicht."

"... ich wusste nur nicht, dass sie hier wohnt."

"Offiziell weiß das keiner", beißende Ironie gesellte sich zu ihren Worten. Aramis nickte Monsieur Remon zu. Sie kannte ihre Nachbarn, "und natürlich empfängt sie nie Männerbesuch, wenn ihr Mann auf Reisen ist ...Bonjour Madame Luc."

"Bonjour Aramis, wieder zurück?"

"Natürlich nicht", pflichtete Porthos ihr bei und rückte für die stattlichen Madam Luc zur Seite. "Sie ist eine anständige Christenbürgerin. Was ist ihr Mann von Beruf?"

"Händler ... fahrender Händler... Bonjour Ivette, bonjour Blanche." Sie erhielt keine Antwort. Ein verstohlener Blick, Kichern hinter vorgehaltener Hand, Augen die immer wieder aufsahen.

"Wie praktisch. Woher weißt du so gut bescheid?"

Aramis zuckte leichthin die Schultern.

"Bonjour Monsieur Aramis, wir haben Sie so lange nicht mehr gesehen." Sie tippte grüßend gegen die Hutkrempe und neigte andeuteten den Kopf.

"Es lässt sich nicht vermeiden. Siehst du das Waschhaus dort an der Ecke? Mit der dreckigen Wäsche aus diesem Viertel, kommt noch viel mehr Schmutz mit dem Tratsch und Klatsch der Nachtbarschaft hinein. Nichts entgeht den Argusaugen meiner Nachbarinnen."

"Außer dir."

"Außer mir, aber ich bin Musketier."

Porthos arbeite. "... Verstehe ich nicht."

"Von einem Musketier erwartet man Weibergeschichten, Saufereien, Duelle und haarsträubende Abenteuer, aber nicht ..."

"... aber nicht, dass er eine Frau ist", vollendete er den Satz. "Weil du ein Musketier bist, sehen sie nicht genauer hin?!"

"Richtig."

Er schüttelte den Kopf. "Die Menschen sind dumm." Zu seinem, -oder sollte man besser das Glück auf Aramis Seite stellen? - sah er den Blick nicht, dem sie ihm schräg hoch warf.

"Jedenfalls, was Madam Campês betrifft, sie soll sagenhaft ..."
 

Sie trafen zu einer Zeit im Musketierquartier ein, wo die meisten Musketiere anwesend waren. Die wenigen Kranken und Beurlaubten fielen kaum ins Gewicht. Die Anzahl der Musketiere unter Kapitän D'Treville mochte zwar begrenzt sein, erreichte aber bei voller Besetzung eine beachtliche Zahl. Eine stattliche Größe an Männern, die für die Bewachung eines einzelnen Mannes zuständig waren. Sie standen in Gruppen zusammen, unterhielten sich leise, prahlten laut über ihre männliche Großartigkeit, lachten und scherzten oder warteten geduldig auf die Anweisungen ihres Kapitäns. Eine Gruppe junger Anwärter übte sich in den neusten Techniken der Degenführung. Ein Bild kameradschaftlicher Unbeschwertheit, die Sorglosigkeit eines Berufes mit gesichertem Prestigewert. Wer Musketier war, der war wer.

Aramis und Porthos traten durch das Tor.

... ein Degenstich kam schräg von der Terz und prahlte auf seinen Gegner. Doch die Hand und das Eisen waren plötzlich schlaff und ohne Gegenwehr.

Das Leben erstarrte schlagartig.

... ein Eimer fiel zu Boden, kippte um und rollte über den Hof.

Unzählige Augenpaare sahen sie an.

... vor dem Tor rumpelte laut ein Fuhrwerk vorbei. Doch das Rattern der Räder blieb das einzige Geräusch.

Aramis wich erschrocken einen Schritt zurück.

... ein Vogel flog über den Platz. Sein Zwitschern verschluckte die Stille.

"Geh weiter", raunte Porthos und drückte sie sanft vorwärts. Aramis schluckte, doch der drückende Kloß in ihrem Hals steckte fest. Sie fühlte wie die Luft abnahm und sich ihr Hals zuschnürte. Die Blicke der anderen stachen wie Nadelstiche auf ihrer Haut. Blei floss statt Blut in ihren Adern, Eisen statt Knochen in ihren Gliedern. Sie zwang sich einen Schritt vor den anderen zu setzen... ein Schritt, dann noch ein Schritt, nur immer weiter auf das Portal der Eingangstür zu. Porthos war der einzige Schutz in ihrem Rücken. >Claude<, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte wirklich nicht übertrieben. Obwohl kein Wort zu ihr drang, nur das leises Raunen von verstecktem Flüstern und Gewisper, dass durch die Reihen ging, verstand sie doch alles. Die Tür fiel hinter ihnen zu und damit die Erlösung.

Porthos stieß den angehaltenen Atem aus. "Na, das wäre doch geschafft".

Der Kapitän saß seitlich an seinem Schreibtisch. Das üppige Licht des Vormittags fiel hinter seinem Rücken durch die Fensterfront herein. Er musterte sie stumm. Auf seinem Gesicht stand der gewohnte strenge, unnachgiebige Ausdruck des befehlsgewohnten Offiziers.

Seine Fingerkuppen trommelten auf die Tischplatte. Er ließ die Hand flach auffallen. "Du bist wieder zurück, dass ist gut", sagte er ohne Lächeln. Wer D'Treville kannte, der wusste, dass seine brummig, abweisende Art, nicht einmal seine Hausangestellten erschreckte.

Aramis nahm Haltung an. "Ich melde mich zurück." Der Kapitän nickte zufrieden.

"Du weißt, dass ich dein Verhalten nicht gutheiße?!"

Aramis stand noch immer stramm. "Ja, das weiß ich."

"Und was hast du mir zu sagen?"

"Nicht viel", erwiderte sie knapp. Nicht unterwürfig, aber wachsam. Ihre Augen erwiderten seinen Blick. "Ich traf Claude in Breteuil."

"So so, du trafst Claude."

"Nicht Jean, sonder Claude", erklärte sie, als wäre damit alles gesagt.

"Unseren Freund Claude, der nichts wichtigeres zu tun weiß, als die, wohl gemerkt, geheime Mission von Frankreichs Agenten jedem unter die Nase zu binden?" D'Trevilles Gesicht blieb völlig emotionslos. Es war nicht zu erkennen, ob er Scham darüber empfand, dass seine Affäre mit der Schauspielerin letztendlich damit zu tun hatte.

Porthos ballte wütend die Hände zu Fäusten "Dieser Bastard hat jedem erzählt ..."

"Schweig!", befahl der Kapitän und hob die Hand.

"Aber ..."

"Claude ist auf Hausarrest gestellt und was geschehen ist, ist geschehen. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Wo steckt schon wieder Athos?"

Sein Musketier verlagerte unbehaglich das Gewicht auf das andere Bein. "Er meldet sich krank, Kapitän." D'Trevilles Braunen zogen sich missbilligend zusammen.

"Ich bin also noch ein Agent Frankreichs?", fragte Aramis zynisch.

"Natürlich und bei Gelegenheit wird sich der König für deine Dienste erkenntlich zeigen", erwiderte D'Treville wie selbstverständlich, wobei noch nicht klar war, ob der König auch davon wusste.

"Nimm den Stuhl und stelle ihn für Aramis vor meinen Schreibtisch", befahl er Porthos, "und dann lass uns allein!"

Aramis hielt ihm am Ärmel fest. "Warum setzt du dich für mich ein?", raunte sie.

Er wich ihrem Blick aus. "Claude schadet uns allen".

Porthos schloss die Tür hinter sich.

"Und?

Aramis senkte den Kopf.

"Setz den Hut ab!"

D'Trevilles markante Züge setzten zum erstaunten Grinsen an. "Ach kuck an."

Aramis ließ die Schultern hängen. "Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich weiß nicht, wohin ich soll. Ich weiß nicht, was aus meinem Leben werden soll."

Ein feines Lächeln umspielte die harten Mundwinkel. "Und deshalb sitzt du wie ein Häufchen Elend vor mir?",

"Meine Zeit als Musketier ist vorbei. Athos und Porthos wissen, dass ich eine Frau bin. Doch selbst wenn sie darüber hinwegsehen würden ... Ihr habt die Männer da draußen gehört. Der Ruf eines Musketiers ist so wichtig, wie seine Fähigkeiten. Nein, die Zeit als Musketier ist vorbei."

"Alles findet sein Ende und wir wussten beide, dass dies hier nicht von Dauer sein kann."

Verzweiflung und eine ruhelose Nacht standen in Aramis Augen. "Ich weiß zu schätzen, was Ihr alles für mich getan habt und ich erwarte gar nichts mehr. Mein Leben ist nicht Euer Problem ...aber,"

"Aber?", fragte er sanft.

"Ich kann nichts gegen die Verzweiflung tun. Ich bin für das Kloster nicht geschaffen, für die Ehe nicht zu gebrauchen und ich kann nichts anderes, als Kämpfen. Ich habe kein anderes Zuhause als das hier .... ich kann nichts anderes", flüsterte sie erstickt.

"Hast du dir darüber nicht schon vorher Gedanken gemacht?"

Aramis schüttelte den Kopf. "Nicht so lange es sich vermeiden ließ", gestand sie schuldbewusst.

Der Kapitän lehnte sich zurück und faltete die Hände über den Bauch. "Vor einer Stunde, suchte mich ein alter Freund auf. Er ist auf Heimurlaub und nutzt seine Zeit damit, einen jungen Korporal zu suchen, der sich sehr verdient gemacht haben soll. Ich weiß nicht, was ich für den jungen Soldaten tun kann, aber ich möchte meinem Freund helfen ..."
 

"Und?" Porthos stieß sich von der Wand ab und kam auf sie zu. Aramis zuckte die Schultern.

"Ich soll nach Hause gehen, bis er mich ruft."

Er nickte.

"... ich sagte dir, es geht bergab mit den ,berühmten' drei Musketieren", erklang eine Stimme hinter ihnen. Zwei Musketiere gingen neben ihnen die Treppe hinunter. Ein letzter gehässig-neidvoller Blick, dann waren sie verschwunden.

Aramis sah ihnen traurig nach. Porthos war derjenige, der wütend war. "Ich sage dir, es geht mit den Musketieren bergab, wenn sie sich wie tratschsüchtige Waschweiber aufführen. Ursprünglich ging es nur darum, dass du in Frauenkleidern in England hocktest und die Comtesse mimtest, dann kamen ganz andere Geschichten hinzu. Eine böswilliger als die andere. Diese Hohlköpfe haben alle vergessen, wer ihnen das Fechten beibrachte und welche Musketiere jedes Kind kennt. Neid hat ihre Sinne vernebelt."

Aramis glaubte sich verhört zu haben und verschluckte sich. "Hohlköpfe?", quiekte sie, als sie sich von ihrem Hustenanfall erholt hatte.

Porthos zuckte die Schultern. "Ist doch wahr", murmelte er. Er sah sie vorsichtig an "Du solltest besser auf das hören, was der Kapitän gesagt hat und nach Hause gehen."

Aramis nickte und machte sich auf den Weg. Es war eine Erleichterung, auf der Straße im Tagewerk der Bevölkerung untertauchen zu können, unentdeckt im emsigen Strom der Masse zu verschwinden. Nirgendwo in Frankreich drehten sich die Uhren so schnell wie in Paris. Das Stadtleben zeichnete sich durch die geschäftig Betriebsamkeit, den quirligen Elan der Pariser aus. Wen es hierher zog, der musste schnell laufen, um mit dem Tausendfüßler Schritt zuhalten. Eine Gruppe Studenten verließ grölend die Fakultät. Sie stießen einen alten Gelehrten in schwarzer Tracht um. Der alte Mann taumelte und wäre gestürzt, wenn Aramis ihn nicht aufgefangen hätte. Sie zog ihn zur Seite, als eine prächtige Kutsche sich gewaltsam seinen Weg bannte. Dahinter schaukelte eine Sänfte mit einer nicht weniger privilegierten Fracht. Den Keil, den beide gerissen hatten, füllten schnell, die einfachen Leute, die Händler, Handwerker, Hausfrauen und Bauern. Der Tausendfüßler zog weiter. Er spülte sie über die Pont des Art zum linken Seineufer. Am Quai de Conti entlang, in das Straßengewirr um den Place de St. Michel. Die Rue Sugar, war eine der Nebenstraßen. Eine kleine Straße an dessen Ecke eine Schmiede lag, die schon längst nicht mehr benutzt wurde. Nach dem letzten großen Brand, hatte man begonnen die Häuser aus Stein hochzuziehen. Eine Katze miaute einsam und die Hämmerschläge einer nahegelegenen Tischlerei, verhallten zwischen den Häusern. Ansonsten war es still.

Der Höflichkeit wegen klopfte Aramis an, erwartete aber keine Antwort. Wenn Athos vernünftig war, dann lag er im Bett und kurierte seine Erkältung aus. Die Tür war nicht verschlossen, die Diele leer. Ein Blick in die angrenzende Wohnstube, bot zwar das vertraute Bild, mit seinen dunklen Möbeln und dem Regal voller Bücher, zeigte aber auch keine Anzeichen von Leben. Einige Treppenstufen führten, der Kühle wegen, in die tiefergelegte Küche. Die Tür zum kaum benutzten Esszimmer stand offen. Kein Zeichen von seinem Bewohner. Wie oft war sie im Laufe der Jahre in diesen Räumen gewesen? Wie oft hatten sie hier beisammen gesessen? Wie oft würde das noch geschehen? Die Tür zum Schlafzimmer war geschlossen. Aramis hob die Hand, um zu klopfen und zögerte.

"Komm herein!", erklang es dumpf hinter den Türblättern.

"Ich wusste doch, dass ich jemanden gehört habe." Athos war wach. Er lag halb aufgestützt in seinem Bett. Seine Stimme klang rau und ungesund. Seine Augen folgten ihr, als sie sich auf eine breite Holztruhe unter dem Fenster setzte, welche seitlich zu seinem Bett stand. Ihr Herz schlug schnell und der Mund war ungewöhnlich trocken. Sie war im Allerheiligsten vorgedrungen. Als ,Mann' hatte Aramis sein Schlafzimmer unbefangen betreten, als ,Freund' sich hier ungezwungen aufhalten können. Mochte die Feststellung rein äußerlich gerade nicht stimmen, aber nun saß sie als ,Frau' an seiner Bettkante. Aramis kam sich eher als Eindringling, als Gast vor.

Athos lächelte sichtlich erheitert. Er schien ihre Befangenheit zu spüren.

"Setzt den Hut ab!", forderte er.

"Warum?"

"Weil ich dein Gesicht nur im Schatten sehen kann."

"Da gibt es nichts besonderes zu sehen," widersprach sie.

Athos musste sich das Lachen verkneifen, dass in seinem Hals kratzte. Steif und verkrampft saß sie auf der Truhenkante. Ihre nervösen Bewegungen verrieten, wie unwohl sie sich fühlte. Zögernd nahm Aramis den Hut ab und legte ihn auf ihre Knie. Ihre kurzen Haare seinen Blicken präsentieren zu müssen, behagte ihr ganz und gar nicht und sie fuhr sich nervös über den Nacken. Die blauen Augen sahen überall hin, nur nicht zu ihm. Jetzt begann sie mit den Fingern zu spielen. War sie nervös, weil er kein Hemd trug? Er richtete sich mit Absicht mehr auf, dass die Bettdecke bis zur Hüfte rutschte und wirklich, Aramis wendete die Augen ab. Diese ungewohnte Schamhaftigkeit und erlaubte Eitelkeit reizten ihn, weil sie mehr von sich als Frau preisgab, als sie zugeben wollte.

"Wie geht es dir?", fragte Aramis schließlich.

"Ich benötige noch keinen Priester, wenn du das meinst", erwiderte Athos und erstickte noch immer seine Erheiterung. "In ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen."

Aramis nickte und stutzte je. Mit dem Finger wischte sie die dicke Staubschicht auf dem Fensterbrett beiseite und betrachtete stirnrunzelnd ihre Errungenschaft auf dem weißen Handschuh. Athos glaubte vor unterdrücktem Lachen zu ersticken. "Sieh nicht so finster drein, ich bin nicht länger in Paris als du", sagte er. "Nach meiner Ankunft bin ich gleich aufgebrochen, um dich zu suchen. Bei dir zu Hause dürfte es ähnlich aussehen." Er setzte sich ganz auf und schwang die Beine aus dem Bett. Mit bestürztem Ausdruck auf dem Gesicht, folgte ihr Blick den nackten Männerbeinen bis hoch zur Hüfte, die nur noch spärlich mit dem Betttuch bedeckt war. Haut, Sehnen, Muskeln, Knochen, Haut ... zuviel Haut ... Poren, Adern, Haare ...

Mit jeder Bewegung, die das Betttuch mehr zur Seiten rutschen ließ, wurden ihre Augen größer ... Haut, zuviel Haut ... Der Kragen saß furchtbar eng, die Luft in dem Zimmer war drückend heiß...

"Soll ich dir eine stärkende Brühe kochen?", fragte sie fahrig. Sie wusste gar nicht wie und selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre es ihr nicht möglich gewesen, sich zu erinnern. Aramis drehte sich um ihre eigene Achse. Wo war die Tür, wo war nicht Athos?

Er schüttelte den Kopf. "Nein, dass brauchst du nicht."

"Dann geh wieder in das Bett zurück!"

"Ich benötige aber Wasser und die Kanne ist ...."

Bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, war Aramis samt Krug verschwunden. Es rumpelte und unterdrücktes Fluchen erklang. Mit einem Stöhnen auf den Lippen humpelte sie zur Küche. Athos biss sich auf den Handballen, um das Lachen zu unterdrücken.

Als sie zurückkam, war er sittsam unter seiner Decke verschwunden. Das Gesicht trug den Ausdruck der Unschuld selbst.

Aramis rang mit sich. Sollte sie ihn fragen? Ihr drohte die Stimme wegzubleiben "Was ist aus deiner Reise geworden?"

Die Zeit verstrich langsamer.

"Eine wirklich zauberhafte junge Dame", sagte er schließlich. "Wunderschön, von zierlicher Gestalt und sehr graziös. Außerdem weiß Sie sich bezaubernd zu unterhalten."

"Ach so?" Ihre Finger verkrampften sich in einander.

Athos nickte. "Würde mein Vater noch leben, wäre sie seine bevorzugte Wahl zur Gräfin de la Fere, aber auf meine Tante war von je her Verlass. Sie hat schon unzählige Ehen gestiftet. Ein repräsentativer Name, das richtige Blut, die richtige Erziehung und das Ganze vereint in einer Frau mit Grazie und Schönheit. Er wäre entzückt gewesen."

"Ach so?" Hilflos schrumpfte Aramis, kleiner, immer kleiner, bis sie verschwand.

Ein heftiger Hustenanfall schüttelte ihn. Besorgt eilte sie an seine Seite und reichte ihm den Becher Wasser. Sie fühlte die Hitze seiner Haut durch ihre Handschuhe. Ihre bloßen Finger hätten sich verbrannt.

Athos ließ sich in die Kissen zurücksinken und sah sie an.

"Die richtige Frau für meinen Vater", keuchte er und rang nach Luft. Das Licht umtanzte als Kranz ihre Haare, "aber nicht für mich." Verwundert sah ihn Aramis an und löste sich nur schwer aus den grauen Augen.

"Was hat D'Treville gesagt?", fragte er, um sich selbst wieder in die Wirklichkeit zu holen.

"Das ich zu Hause bleiben soll, bis er mich ruft." Aramis nahm wieder auf der Truhe platz. "Seit unserer Abreise, ist das Hauptquartier der Musketiere ein ungemütlicher Ort geworden."

"Ich weiß", gestand er bitter.
 

Die Nadel fuhr durch das feine Leinentuch. Erst ein roter Faden, dann ein Goldener, ein Blauer und wieder roter Seidenzwirn, bis das Gewand der Jungfrau Maria entstand. Anna's gepflegte und viel gerühmten Hände führten die Nadel gekonnt und mit großem Kunstgeschick. Ihre Majestät die Königin saß am Fenster und stickte, während sie leise vor sich hin summte. Nachdenklich hielt sie inne und blickte hinaus. Wie konnte sie den König dazu ermutigen, mehr seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, um endlich dem ersehnten Thronfolger das Leben zu schenken? Ihr Eheleben verlief zufriedenstellend harmonisch, fast zu harmonisch da die Leidenschaft langsam versiegte. Aber sie brauchte einen Sohn, um ihre eigene Position gegenüber dem Kardinal zu stärken. Dieser intrigante alte Graubart, dessen Herz nur Macht, kein Mensch rühren konnte. Obgleich ihr das Leben leichter erschien, seit der drohende Schatten von Milady verloschen war.

"Constanze, ich benötige noch mehr Goldfäden!"

Constance träumte mit offenen Augen. Von wem, dass war ihrer Königin schon längst kein Geheimnis mehr.

"Kindchen", Sie klatschte in die Hände, "die Goldfäden!" Sie lachte leise. "Heiratet endlich, aber komme auf die Erde zurück!" Constance schrak zusammen und brachte eilig das gewünschte. Es klopfte und ein blaulivrierter Page kündete den Kapitän an. Erstaunt blickte Königin Anne ihrem geheimen Verbündeten entgegen.

"Ihr sucht mich auf, Kapitän? Planen wir eine Verschwörung?". Sie kicherte vergnügt und übergab ihrer Hofdame den Stickrahmen.

"In der Tat, Eure Majestät", erwiderte der Kapitän und sah ernst auf seine Königin nieder.

"Was kann ich für Euch tun?"

Seine Majestät, der König, spielte gerade Polo mit seinem Postminister und dem obersten Zensor von Frankreich. Beide Männer, die ihren Posten dem Blaublutanteil in ihren Adern verdankten. Als sich seine Gemahlin mit dem Kapitän der Musketier näherte, fand die Partie sein vorzeitiges Ende. Stöhnend erhob er sich und blinzelte gegen die Sonne. Ausgerechnet jetzt, da der Kardinal ihm zwischen all den Staatsgeschäften so wenig Freizeit ließ. Ihm schwante böses. Königin und Kapitän hatten sicher gestellt, dass der Kardinal mit dem russischen Gesandten beschäftigt war, um den König in die zweifache Kneifzange zu nehmen.

"Anna", begrüßte er sie und zwang sich zu einem Lächeln. "Unsere Schachpartie ist doch erst nach dem Dinner? Warum kommen Sie ohne Ankündigung des Pagen? Es muss etwas wichtiges sein?!"

"Oh, dass ist es Ludwig. Störe ich Sie?"

"Keineswegs, meine Liebe", erwiderte er zuvorkommend. "Wir besprechen nur die nächste Jagd. Versailles Wälder sind im Herbst einfach zauberhaft". Mit einer diskreten Verbeugung zogen sich seine Minister zurück.

"Wollen Sie uns begleiten?", fragte er vorsichtig und seine Augen zuckten nervös.

Anna schüttelte lächelnd den braunen Haarschopf. "Nein, mein Lieber, reiten Sie nur alleine aus." In ihrer Jugend war sie gerne ausgeritten. Dem jungendlichen König hatte es gar nicht gefallen, von seiner frisch angetrauten Frau überholt zu werden. Doch die Zeiten änderten sich.

Ludwig stieß die angehaltene Luft erleichtert aus. "... wie schade. Was kann ich für dich tun, Liebes?"

Annas grüne Augen funkelten vergnügt. Ludwig war gnädig gestimmt, nun konnten sie vorpreschen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (8)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  blubbie
2011-06-26T21:34:48+00:00 26.06.2011 23:34
Höhö...na dann lass die königin mal vorpreschen.
Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich Porthis vergöttere. Herrlich...eienn besseren Freund kann man sich gar nciht wünschen. Und ich glaube er wird einfach viel zu oft unterschätzt und auf sein Körpergewicht degradiert!
Die Szene bei Athos war natürlich zum Schreien. Ich bin schon wieder nur am dumm vor mich hingrinsen hier. Deswegen möchte ich jetzt wissen wie es weiter geht und was aus Aramis wird. Ich hoffe ihre belohnung fällt so aus, dass sie auch ihre Miete zurückbekommt. Aber im Titel steht etwas von zweifelhafter Ehrung....hm...oh weh....
Von: abgemeldet
2005-05-05T16:10:28+00:00 05.05.2005 18:10
Es tut mir so unendlich, schrecklich leid, dass ich erst jetzt dazu komme dir ein Kommi zu schreiben. Pardon!!!
*um-vergebung-fleh*
Und nun zum Kapitel: Es war einfach der Hammer!!! Am Besten war natürlich die Szene mit Athos und Aramis. Das ist dir wirklich super gelungen, vorallem das mit: "Die richtige Frau für meinen Vater, aber nicht für mich!"
Einfach genial!!! *gg*
Aber Portos war auch nciht schlecht. *gg*
Bin gespannt, wann das nächste Kapitel kommt. Muss unbedingt wissen wie es weiter geht. Obwohl andererseits steuert deine Story schon langsam aufs Ende zu. *schnief*
Kann man dich vielleicht dazu zu überreden für immer weiterzuschreiben? Kleiner Scherz. Ich hoffe, dass es auf jeden Fall ein Happy-End gibt und am Besten noch eine Fortsetzung. *träum+

Also, überleg es dir und schick das neue Kapitel.

Ciao, Ayumi Kishu

P.S.: Kennst du den Song "All I Ever Want" von Alexander Klaws und Sabrina. Das ist soviel ich weiß der Titelsong zu dem Musical "Die Drei Musketiere". Ich finde es passt einfach wunderbar zu Athos und Aramis. Hörs dir doch einfach mal an. Würd mich freuen, wenn du mir mitteilst was du davon hälst.
Von: abgemeldet
2005-04-30T16:43:36+00:00 30.04.2005 18:43
Einfach nur genial!!!!Schreib ganz schnell weiter und lass uns nicht so im dunkeln tappen :) ...Ich kann es kaum erwarten,dass du ein neues Kapitel veröffentlichst.Bin schon gaaaaanz gespannt....
Von: abgemeldet
2005-04-26T07:42:59+00:00 26.04.2005 09:42
mich hat es sehr gefreut, dass du dargestellt hast, wie porthos und aramis jetzt miteinander umgehen :o) meine zugfahrt war wirklich weg wie nichts, als ich deine story gelesen habe... an diesem kapitel ist einfach nichts auszusetzen und auch ich bin total gespannt, was als nächstes passiert :o)
LG Krisi
Von:  Tach
2005-04-21T20:15:30+00:00 21.04.2005 22:15
Ich habe einen Verdacht as den Plan der beiden angeht, aber ich vermute dass ich daneben liege. Bin sehr gespannt. Besonders auf Seite 2 war ich sehr erheitert, um es mal vorsichtig zu formulieren x]. Wurde ja mal Zeit, dass der Herr ein wenig die Offensive ergreift.
Mit Spannung erwarte ich das nächste Kapitel...

Warum zur Hölle red ich so geschwollen?! o.O Entschuldigung!
Von: abgemeldet
2005-04-21T15:23:20+00:00 21.04.2005 17:23
Was kann ich noch sagen? Wundervoll, wie immer! Humor, Ernsthaftigkeit und ein wenig Zynismus... *seufz* Der Stoff, aus dem auch gute Bücher gemacht sind. ^-^
Von:  Kanoe
2005-04-21T11:34:06+00:00 21.04.2005 13:34
Herrlich einfach herrlich.. auch wenn mich meine Neugier fast umbringt *an der unterlippe kanbbert*
ich sollte mir die geschichte ausdrucken und binden lassen *schwelg*
Von:  Kajuschka
2005-04-21T09:58:28+00:00 21.04.2005 11:58
Freut mich, dass du das neues Kapitel ja recht schnell eingestellt hast. Du hast immer noch diesen wunderbaren Schreibstil, ich bin begeistert. Und mal wieder ist das Ende des Kapitels ziemlich gemein. Wie geht's denn weiter ?????????? *total gespannt bin* :-)


Zurück